Die Baureihe 165 - die Bauart Stadtbahn

Seite 4


eine Seite zurück eine Seite vor

Die Baureihe 275 bei der BVG

Am 9. Januar 1984 wurde der BVG die Betriebsführung der in Westberlin gelegenen Strecken der Berliner S-Bahn übertragen. Dazu erhielt sie nicht nur Personal und Bahnhöfe, sondern auch die benötigten Fahrzeuge. Diese bestanden ausschließlich aus Fahrzeugen der Baureihe 275 bzw. die daraus gebauten Arbeitsfahrzeuge der Baureihe 278.

Bei der Übernahme waren 114 Viertelzüge betriebsfähig, eine Anzahl von ihnen hatte jedoch schon die die Hauptuntersuchung (HU) auslösende Laufleistung von 250.000 km bzw. die Zeitfrist von fünf Jahren erreicht. Somit musste die BVG einen Plan erstellen, der eine Überholung und gleichzeitige Modernisierung der Fahrzeuge ermöglichte und dabei den gleichzeitigen S-Bahnbetrieb sicherstellte.

Bild: Modernisierung eines Triebwagens

Bei der Waggon-Union in Tegel wurden die Fahrzeuge der BR 275 aufgearbeitet (31. August 1985)

Um diese Hauptuntersuchungen durchführen zu können, musste sich die BVG Partner in der Berliner Industrie suchen. Ihre eigene S-Bahnbetriebswerkstatt in Wannsee war dazu technisch nicht in der Lage. Das ehemalige S-Bahnbetriebswerk Papestraße war seit dem Reichsbahnerstreik vom September 1980 geschlossen. Zudem wäre dieses darüber hinaus auch nicht in der Lage gewesen, eine solche umfassende Überholung zu leisten. Weiterhin erschwerend kam hinzu, daß der BVG nur wenige Stromlauf- und Konstruktionspläne zur Verfügung standen. Das waren dann z.B.:

Folgende Maßnahmen wurden getroffen, um eine serienmäßige Modernisierung und Hauptuntersuchung durchführen zu können:

Diese Unterlagen waren für die Transverterzüge und Umformerzüge separat anzufertigen. Dabei mussten die von der BVG gewünschten oder auf Grund des Zustandes der elektrischen Anlage erforderlichen Änderungen berücksichtigt werden. Bauteile, die nicht wieder verwendet werden konnten, z. B. weil sie stark beschädigt waren, wurden entweder durch Ersatzteile der Deutschen Reichsbahn (sofern möglich) oder aber durch Bauteile aus westlicher Produktion ausgewechselt.

Folgende wesentliche Änderungen wurden an allen Fahrzeugen vorgenommen:


Bild: neue Polstersitze

Ein Teil der hauptuntersuchten Fahrzeuge erhielten neue Polstersitze (undatiert).

Wie schon eingangs geschrieben, beteiligten sich mehrere Firmen an der Durchführung dieser Maßnahme. Bei der Waggon-Union (WU) wurde der Wagenkasten aufgearbeitet und die Inneneinrichtung neu gestaltet. Die Firmen Siemens und AEG wurden mit der Instandsetzung der elektrischen Teile beauftragt. Die BVG selbst führte in ihren Werkstätten folgende Aufarbeitungen durch:

Am 9. Februar 1984 erfolgte die Übergabe der ersten Viertelzüge 275 563/4 (Umformer) und 275 255/6 (Transverter) an die Waggon-Union.
Nach der Probezerlegung und Erstellung der gewünschten Unterlagen erfolgte die Aufarbeitung. Nach deren Abschluß wurde eine kleine Probefahrt auf einem extra mit Stromschiene versehenen Testgleis zwischen dem Werksgelände und dem Bahnhof Reinickendorf (heute: Alt-Reinickendorf) durchgeführt. Wurde diese Probefahrt erfolgreich beendet und alle notwendigen Einstellungen vorgenommen, fand eine Abnahmefahrt auf den S-Bahngleis zwischen dem Abzweig Tga (zwischen den Bahnhöfen Reinickendorf und Schönholz nahe der Kopenhagener Straße) und dem Bahnhof Tegel statt. Der auf diese Weise erste überholte Zug wurde am 29. August 1984 der Presse vorgestellt. Bis zum Ende des Programms im August 1987 folgten weitere 105 Viertelzüge.

Zur Wiedereröffnung der Wannseebahn am 1. Februar 1985 bzw. im weiteren Betriebsablauf standen der BVG wegen Motorschäden nicht genügend Fahrzeuge zur Verfügung. Um diesen Mangel auszugleichen, setzte sie auf der neuen S-Bahnlinie 1 vorübergehend in vier Umläufe Paßviertelzüge ein. Im Rahmen der weiteren Modernisierung wurden zwölf der vorhandenen 20 Wagen später auch umgebaut. Folgende Arbeiten wurden u.a. dabei durchgeführt:

Bei einigen Viertelzügen und den "neu" gebauten Steuervierteln wurde bereits eine Vorleistung getroffen, um ein neues Zugsicherungssystem (EZS 800) in Betrieb nehmen zu können. Es wurden die Heizkörper unter einer der Längsbänke im ehemaligen Dienstabteil entfernt und durch Metallklappen verschlossen. Ein Einbau dieser Zugsicherung fand jedoch nie statt.
Der Einsatz der neuen Steuerviertel erfolgte ausnahmslos auf der Linie S1 in den Abendstunden. Hier lohnten sich nicht die Einsätze von Halbzügen (vier Wagen) aufgrund der niedrigen Fahrgastzahlen.

Bild: Überführung in Wannsee

Überführungsfahrt der beiden Viertelzüge 275 533/4 und 275 109/0 mit einer Diesellok der BR 106. (1986)

Wurden anfangs die Viertelzüge in der von Deutschen Reichsbahn verwendeten Farben lackiert, erfolgte ab Mitte 1985 die Verwendung von einem hellerem Gelb. Weitere größere Umbauten an den Fahrzeugen fanden bei der BVG nicht mehr statt. Da auch weiterhin alle 250.000 Kilometer eine Überholung der Züge anstand, wurde Anfang 1987 das S-Bahnbetriebswerk Papestraße reaktiviert. Die Zuführung erfolgte mittels einer Diesellok über die Ringbahngleise der S-Bahn.

Technische Probleme der BVG-Züge im Nordsüd-S-Bahntunnel

Als am 16. September 1986 kurz vor dem Bahnhof Friedrichstraße ein Zug (275 109) entgleiste, ging man von einem Einzelfall aus. Am 24. Februar 1987 entgleiste wieder ein Zug in Richtung Lichtenrade zwischen den Bahnhöfen Friedrichstraße und Unter den Linden. Wenig später stand am 2. März 1987 an derselben Stelle der nächste Zug (wie der Eisenbahner sagt) im Dreck. Hier betraf es den dritten Wagen, den 275 252.
Die nächste Entgleisung passierte am 23. März 1987 (betroffen war der 275 419) zwischen Unter den Linden und Potsdamer Platz. Nur vier Tage später entgleiste der 275 227 mit dem ersten Drehgestell in Richtung Frohnau bei Ausfahrt aus dem Bahnhof Friedrichstraße. Bei dieser Entgleisung schrammte der Triebwagen an der Tunnelwand entlang.

Bild: zwischen Friedrichstraße und Unter den Linden

Im Nordsüd-S-Bahntunnel befinden sich sehr enge Bogenradien.
Hier zwischen den Bahnhöfen Friedrichstraße und Unter den Linden (Juni 2005)

Als Ursache stellte sich eine Verschlechterung des Zusammenspiels zwischen dem Schienenprofil und den genormten Radbandagen heraus. Letztere entsprachen zwar dem Normprofil, waren aber anders als die vorherigen. Inwieweit noch weitere Gründe für eine Begünstigung der Entgleisungen sorgten (bspw. fehlende Elastizität des Gleisbettes oder die Art der verwendeten Schienenstahlsorte), ist bis heute unklar.

Um weitere Entgleisungen zu verhindern, wurden einige Züge Anfang März mit einem gelben Streifen unterhalb der Wagennummer versehen. Diese Züge waren mit diesem anderen Radprofil ausgestattet und durften nun nicht mehr im Nordsüd-S-Bahntunnel fahren. Nach wenigen Tagen wurden diese Streifen dann in die Führerstände verlegt, weil eine Berliner Tageszeitung unter der Überschrift: "Wie sicher ist die S-Bahn?" über diese Streifen berichtete. In einer Mitteilung vom 30. März 1987 wurden die Triebwagenführer angewiesen, daß die Gleisbögen nur mit ausgeschaltetem Fahrschalter zu durchfahren sind. Sollte dies nicht möglich sein, so musste der Fahrschalter auf die halbe Beschleunigung eingestellt werden.

Erst am 20. Oktober 1989 kam es wieder zu einer Entgleisung, als der 275 319 in den Vormittagsstunden am stillgelegten Bahnhof Unter den Linden aus den Schienen sprang. Nur kurze Zeit später traf es am 3. November 1989 den 275 435 an der gleichen Stelle. Bei diesem Unfall wurde die Bahnsteigkante des Bahnhofes Unter den Linden beschädigt.

Weitere Entgleisungen gab es bis zur Sanierung des Nordsüd-S-Bahntunnels im Jahre 1991 nicht mehr.


eine Seite zurück eine Seite vor

nach oben