Wiederaufnahme des durchgehenden S-Bahnverkehrs zwischen Friedrichstraße und Lehrter Stadtbahnhof

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Praktische Herausforderungen im Betriebsalltag

Von Christian Morgenroth, damals Fachabteilungsleiter Betrieb bei der S-Bahn (DR)

Die Kontakte zwischen S-Bahnern in Ost und West entwickelten sich schrittweise. Zwar hat es schon seit 1984 ein formelles Absprachegremium auf der Ebene der „Technischen Beauftragten“ gegeben; diese Runden hatten aber einen teilweise politischen Charakter und waren wegen der hochrangigen Besetzung nicht geeignet für das Alltagsgeschäft.

Gemeinsam stellten die Kolleginnen und Kollegen aus Ost und West fest, dass sich trotz der Übergabe der S-Bahn an die BVG und dabei vorgenommenen Vereinfachungen bei den betrieblichen Regelungen viele Gemeinsamkeiten bewahrt hatten. Gerade in den ersten Monaten nach dem Mauerfall ging es immer vorrangig darum, eine Lösung zu finden; formale oder finanzielle Fragen waren nachrangig. Wie die nachfolgenden zwei Beispiele zeigen, galt es, manches praktische Problem zu überwinden.

Um den Besucheransturm bewältigen zu können, waren zwischen BVG und DR laufende Absprachen erforderlich. Weil man zu Vorwendezeiten auf strikte Abgrenzung bedacht war, gab es natürlich keine brauchbaren Kommunikationsmittel „zwischen den Welten“. Es gab eine einzige Telefonverbindung zwischen der Reichsbahn-Oberdispatcherleitung (Odl) und der BVG-Betriebsleitstelle, die vordem nur von ausgewählten Mitarbeitern genutzte werden durfte. Nun war sie eine begehrte Nachrichtendrehscheibe für alle Beschäftigten, die schnelle Absprachen zu treffen hatten. Selbst die Chefs mussten sich zum Telefonieren in den Raum mit dem Telefonapparat begeben. Erst später konnten weitere Verbindungen eingerichtet werden. Und an moderne Kommunikationsformen wie Telefax oder gar E-Mail war überhaupt noch nicht zu denken. Fahrplanentwürfe wurden per Hand geschrieben und dann auf der Schreibmaschine abgetippt…

Bild: Deckblatt der ZUB S-Bahn DR - BVG

Da die seit dem 2. Juli über die Stadtbahn durchgängig verkehrenden Züge von BVG und DR auf unterschiedlichen Funkfrequenzen abgefertigt wurden, hatte man die Aufsichten zwischen Friedrichstraße und Erkner sowie auf dem Ringbahnsteig in Ostkreuz mit BVG-Funkgeräten ausgestattet. Im BVG-Bereich erhielten alle Aufsichten bis Wannsee Abfertigungsfunkgeräte der Reichsbahn. Vielfach orientierten sich die Aufsichten bei Einfahrt des Zuges an dessen Farbgebung, um zum Ost- oder Westfunkgerät zu greifen. Da das aber nicht immer stimmte (beispielsweise hatte ein DR-Zug für DEFA-Filmarbeiten seine traditionelle Farbgebung im Gegensatz zu allen anderen DR-S-Bahnwagen behalten), gab es bisweilen Funkstille und entsprechende betriebliche Verzögerungen. Häufig wurden dann beide Geräte gleichzeitig benutzt. Für ihren Hin- und Hertransport zu Wartungszwecken wurden eigens Fahrpläne erstellt.

Rückblickend war es eine einmalige, sehr aufregende Zeit. Durch die praktische Zusammenarbeit zwischen Ost und West sind viele Vorurteile aber auch manche Erwartungen abgebaut worden.


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Danksagung:
Textveröffentlichung und Bildfreigabe mit freundlicher Genehmigung des
Bild: Logo S-Bahn-Museum

letzte Änderung:
2. Juli 2015

Veröffentlichung:
2. Juli 2015

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