Außenwerbung an S-Bahnzügen


Seit mindestens den 1930er Jahren gibt es in den Fahrzeugen der Berliner S-Bahn Reklame. In diesem Aufsatz soll jedoch auf diese Art der Werbung nicht eingegangen werden.

Außenwerbung

Hingegen gibt es die Außenwerbung an S-Bahnzügen erst seit knapp drei Jahrzehnten. Nach der Übertragung der Betriebsrechte durch den Westberliner Senat an die BVG fuhr ab Ende 1985 mit dem Viertelzug 275 563/564 der erste S-Bahnzug durch Netz, der eine Außenwerbung trug - für das Bier einer Berliner Brauerei "Schultheiss Pilsener" [1].

Im ersten Halbjahr 1986 ließ die BVG 15 Viertelzüge mit Reklame für das Anzeigenblatt "Zweite Hand" sowie fünf Viertelzüge für die Schultheiss-Brauerei bekleben, hinzu kamen noch vier Viertelzüge, die eine Eigenwerbung der BVG hatten. Mitte 1986 waren somit 25 Viertelzüge mit Außenwerbung versehen, der Senat gab den jährlichen Erlös mit etwa 100.000 DM an [2, 3].

Bei der Westberliner Bevölkerung kam die Außenwerbung zum Teil schlecht an, es hagelte Kritik - obwohl doch im Berliner Stadtbild Busse und U-Bahnen seit Jahrzehnten für all die wichtigen und unwichtigen Dinge des Lebens warben. Äußerungen des Mißfallens erreichten die BVG auch aus Ostberlin, hier nahm man Anstoß an der Reklame für das Anzeigenblatt "Zweite Hand". Unter Eisenbahnfreunden kursierte der Spott, das man mit der Werbung für die "Zweite Hand" richtig läge, schließlich wären ja die Züge im Januar 1984 aus zweiter Hand übernommen wurden. Die DR (und somit Ostberlin) zeigten sich darüber verstimmt, die BVG mochte sich keiner weiteren Konfrontation entgegenstellen und entfernte bis Ende Juli 1986 diese Außenwerbung an den betroffenen 15 Viertelzügen [4].

Bild: Werbung Zweite Hand

Für die einen eine optische Umweltverschmutzung, für andere eine unterschwellige Subversion des Klassenfeindes.
Und heute nur noch eine Fußnote zweier ehemals geteilter Stadthälften.

Ende 1990 trugen die S-Bahnfahrzeuge der Deutschen Reichsbahn erstmals auch eine Außenwerbung. Und die noch im Jahre 1986 angemahnte Reklame für ein gewisses Anzeigenblatt ist seitdem auch wieder mehrfach auf S-Bahngleisen gesichtet worden.

Vollwerbung

Eine andere Art der Außenwerbung waren die Züge mit Vollwerbung. Von diesen gab es in einem Zeitraum von zwölf Jahren insgesamt 19 Viertelzüge. Und auch hier gilt auch heute noch: Je nach Betrachtungsweise verschönerten oder verschmutzten sie die Züge und das Stadtbild.

In diesem Zusammenhang wird auch gerne der Begriff des Pop-Zuges, abgeleitet von Pop Art, also einer Kunstrichtung, verwendet. Man mag darüber streiten, wieviel Werbung und Pop Art miteinander gemeinsam haben, nach Ansicht des Autors ist der Begriff der Vollwerbung die bessere Beschreibung.

Der Viertelzug 477 012 zumindest hätte sich jedoch den Titel Pop-Zug wirklich verdient.

Alles begann am 15. Mai 1995 mit einer Pressekonferenz, auf der in der Hauptwerkstatt Schöneweide der erste mit einer kompletten Werbung versehene Halbzug der Presse vorgestellt wurde. Der Zug, bestehend aus den beiden Viertelzügen 477 045 und 141, warb für den damaligen Radiosender "Hundert,6" - übrigens einer der ersten beiden privaten Berliner Hörfunksender - mit dessem Logo, einem Frosch, großflächig auf den Außenflächen und auf den Zugdächern. So verziert verkehrte der Halbzug, in dessen vier Fahrgasträumen das Radioprogramm von einer Musikkassette eingespielt wurde, als umgangssprachlicher Froschzug meist auf der damaligen Linienführung der S3 (Erkner—Potsdam Stadt (heute Potsdam Hbf)). Im Dezember 1997 wurde diese Werbung wieder entfernt, die Radioeinspielungen endeten schon während des beschriebenen Zeitraumes, ein Teil der Fahrgäste zeigte sich genervt angesichts der tonalen Dauerberieselung.

In den nächsten Jahren folgten noch 17 weitere Viertelzüge mit Vollwerbung, am längsten fuhren der 481 011 und 020 für vier Jahre für die "T.U.R.M. Erlebniscity Oranienburg" Reklame. Nur für zwei Monate, und somit am kürzesten, zeigten sich die beiden Viertelzüge 477 070 und 085 in einem anderen Farbgewand: als Paradieszug warben sie für die im Herbst 2003 stattgefundene Paradiesausstellung.

Nach Angaben der Mitarbeiterzeitung der S-Bahn [5] kostete die Werbung pro Viertelzug und Monat 3.000 DM, allerdings ohne Garantie einer Linienbindung und Fahrzeugeinsatz, mußten doch auch diese Züge entsprechend gewartet und flexibel eingesetzt werden. Von den insgesamt 19 mit Vollwerbung versehenen Viertelzügen waren nur fünf mit einer thematischen Einzelwerbung versehen, bei den anderen 14 Viertelzügen war es immer je ein Halbzug (sieben Halbzüge) die eine komplette Werbebotschaft durch Berlin und Brandenburg trugen. Die Fahrzeugdisponenten der jeweiligen S-Bahnbetriebswerke waren grundsätzlich bemüht, den Einsatz dieser sieben thematisch zusammenhängenden Halbzüge zu gewährleisten.

Während ihrer Werbezeit verlor mindestens ein Zug einen Teil seiner Vollwerbung: dem 477 003 wurde nach einem Graffitianschlag am Triebwagen die Folie entfernt, da sich deren Farben durch die Reinigungsmittel auflösten. Auch die für die Einführung des Euros werbenden 477 606 und 159 wurden gleich in ihrer ersten Nacht beschmiert, mindestens einer der beiden Viertelzüge erhielt eine neue Folie.

Anfang des Jahres 2003 beendete die Deutsche Bahn AG als Konzernmutter der S-Bahn Berlin GmbH diese besondere Form der Außenwerbung. Alle entsprechenden Verträge liefen daraufhin aus. Zu diesem Zeitpunkt verkehrten gerade noch zwei Halbzüge mit Vollwerbung durch die Bundeshauptstadt: 485 063 und 074 ("Scandlines") und 481 011 und 020 ("T.U.R.M. Erlebniscity Oranienburg"). Im Oktober und November 2003 erhielt der schon erwähnte Paradieszug, wahrscheinlich mit einer Ausnahmegenehmigung, die genannte Reklame. Dieser Zug und der 476 406 ("Knorr Hüttensnack") trugen die Vollwerbung auch bei ihrer Verschrottung.

Die nachfolgende Tabelle zählt in chronologischer Reihenfolge alle 19 Viertelzüge auf, die mit Vollwerbung im S-Bahnnetz verkehrten, ein Klick auf das Bild öffnet ein weiteres Bildfenster (bitte ggf. Popup-Blocker abschalten):

Viertelzug   von bis Bemerkungen
477 045 + 141 Bild: Thumbnail HundertKomma6     Radioeinspielung in Fahrgastraum
Radio "Hundert,6" 15.5.1995 Dezember 1997
477 058 Bild: Thumbnail Malta      
Malta März 1997 August 2000  
477 159 + 606 Bild: Thumbnail Der Euro rollt      
Der Euro rollt Mai 1997 August 2000  
476 035 Bild: Thumbnail Riz Bizi      
Knorr Rizi Bizi Januar 1998 November 1999  
476 406 Bild: Thumbnail Hüttensnack     Fzg wurde mit Werbung verschrottet
Knorr Hüttensnack Februar 1998 August 1999
477 003 + 136 Bild: Thumbnail SFB Abendschau 1     477 003: nach Graffitischmiererei Werbung teilweise entfernt, Komplettlöschung erst im Juli 2000
SFB Abendschau Oktober 1998 Juni 2000
477 132 Bild: Thumbnail FEZ Wuhlheide      
FEZ Wuhlheide Mai 1999 Juli 2002  
481 035 + 036 Bild: Thumbnail Süddeutsche Zeitung      
Süddeutsche Zeitung Oktober 1999 Januar 2003  
477 189 Bild: Thumbnail Spaghetteria      
Knorr Spaghetteria November 1999 Januar 2001  
485 063 + 074 Bild: Thumbnail Scandlines     zusätzlicher Test Fernsehen im Zug
Scandlines Dezember 1999 September 2003
481 011 + 020 Bild: Thumbnail Erlebniscity TURM      
Erlebniscity Oranienburg T.U.R.M. Februar 2002 März 2007  
477 070 + 085 Bild: Thumbnail Paradieszug     477 070 mit Werbung verschrottet,
477 085 mit Werbung verkauft
Paradieszug Oktober 2003 November 2003

Der Autor verweist an dieser Stelle auf den Umstand, daß für die hier genannte Werbung im Vorfeld und auch nachträglich keine Gelder aller hier genannten Unternehmen in die Kassen der Webseite geflossen sind. Leider! ;-)


Autor:
Mike Straschewski

Quellen:
[1] Kurzmeldung, Berliner Verkehrsblätter; Heft 1/1986
[2] Kurzmeldung, Berliner Verkehrsblätter; Heft 5/1986
[3] Kurzmeldung, Berliner Verkehrsblätter; Heft 6/1986
[4] Der elektrische Betrieb auf der Berliner S-Bahn; Band 6: Das Netz wächst zusammen – 1980 - 2003; Manuel Jacob; Verlag Neddermeyer 2004; S. 129
[5] Bunte Werbeflächen auf Schienen; Mitarbeiterzeitung Paula 7; Heft 2/2000
Totalwerbung an S-Bahn-Wagen; Martin Grether, Uwe Kerl; Berliner Verkehrsblätter; Heft 12/2002
diverse Kurzmeldungen in den Verkehrsgeschichtlichen Blättern und Berliner Verkehrsblätter; Jahrgänge 1995 - 2007

Weiterführende Links:
private Webseite zur Geschichte des Radiosenders Hundert,6
www.paradiesprojekt.de

letzte Änderung:
3. September 2013

Veröffentlichung:
3. September 2013

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