Friedrich Kittlaus - Vom Lokheizer zum Vizepräsidenten

Seite 1


  eine Seite vor

Friedrich Kittlaus war von 1949 bis 1973 Chef der Berliner S-Bahn

In den 60er und 70er Jahren hatte die Berliner S-Bahn zwei Gesichter: In West-Berlin war sie die vom Fahrgastboykott ausgezehrte Schüttelbahn. Im Osten hingegen das beliebte Massenverkehrsmittel, dessen Leistungsfähigkeit seinerzeit den Vergleich mit westlichen Systemen kaum zu scheuen brauchte. Dass diese zwei selbstständigen Systeme unter einer gemeinsamen Verwaltung und Führung standen, war Außenstehenden kaum bekannt, auch wenn im Westen oft von der "Kommunistischen S-Bahn" die Rede war. Noch weniger bekannt war die Tatsache, dass ihr seit 1949 ein Mann vorstand, der gerade kein SED-Genosse war. Er hieß Friedrich Kittlaus, war parteilos, ein hervorragender Fachmann und ist bei seinen damaligen Mitarbeitern bis in die heutige Zeit in guter Erinnerung geblieben. Das Erstaunlichste ist: Er lebte bis zu seinem Tod in West-Berlin. Wer also war Friedrich Kittlaus?

Geboren 1901 als Sohn eines Lokomotivführers, strebte er zunächst selber diesen Beruf an, indem er 1917 als Lokheizer seine mehr als 50 Jahre währende Eisenbahnerlaufbahn begann. Bereits mit 20 Jahren legte er die Lokführerprüfung mit Erfolg ab. Oberlokführer jedoch konnte er nicht werden, weil er den Farbtest nicht bestand. Also orientierte er sich anders und qualifizierte sich über diverse Lehrgänge zum Vorsteher der "Dienststelle Bahnhof Wilmersdorf". Er war stets an den Menschen interessiert, mit denen er zu tun hatte und pflegte guten Kontakt zu ihnen. So organisierte er schon in frühen Jahren ein vielbeachtetes Lehrlingsfest, berichtet seine Schwägerin. Mit einer Mischung aus hohem Können, fachlicher Strenge und menschlicher Großzügigkeit erwarb er sich nicht nur im Kollegenkreis, sondern auch bei seinen Vorgesetzten Anerkennung.
Bereits seit 1938 war Kittlaus S-Bahn-Betriebskontrolleur. Er überwachte die Dienstausübung und die Einhaltung der Vorschriften auf den Bahnhöfen. Dadurch hatte er die Berliner S-Bahn bis zur "letzten Weiche" kennen gelernt.

Bild: Friedrich Kittlaus

Friedrich Kittlaus an seinem 70. Geburtstag

Schwere Zeiten I

Der Kriegswinter 1944/45 macht der S-Bahn schwer zu schaffen. Die dauernden Bombardements schlagen dem Betrieb viele Wunden. Das öffentliche Leben aber geht weiter. Die Rüstungsproduktion läuft auf Hochtouren und die Berliner müssen pünktlich in die Fabriken gelangen. Die immer heftiger werdenden Bombenangriffe ziehen immer größere Ausfälle im S-Bahn-Netz nach sich. Die umgehende Befahrbarmachung der Schadensstellen ist eine kriegswichtige Aufgabe von höchster Bedeutung; schließlich soll die Bevölkerung möglichst zuverlässig ihre Arbeitsplätze erreichen können. Hier setzt sich Kittlaus mit großem Organisationstalent und eigenwilligem persönlichen Engagement erfolgreich ein. Der rastlose Betriebskontrolleur findet Wege, die Leistungen der Bahn zu steigern. Unter seiner Mitwirkung gelingt es, die Vorschriften zu entrümpeln und die Handlungsspielräume des Personals zu erweitern. Man wird ihm später nachsagen, dass er seinerzeit den Pendelverkehr im heutigen Sinne "erfand", um die unterbrochenen Streckenabschnitte schnellstens wenigstens teilweise wieder befahrbar zu machen.
Er kennt eine Menge Leute und organisiert Lastwagen und Treibstoff, um Material zur Beseitigung von Bombenschäden heranzuschaffen. Dies entspricht zwar nicht dem Aufgabenbereich eines Betriebskontrolleurs, aber er nutzt den Handlungsspielraum, den die Ereignisse ihm bieten, in dieser Weise. So kann der S-Bahn-Betrieb trotz der häufiger werdenden kriegsbedingten Behinderungen immer noch einigermaßen aufrechterhalten werden.

Die S-Bahn befördert täglich immer noch fast zwei Millionen Menschen, nur ein Zehntel weniger als im Rekordjahr 1943. Dies ist nur möglich, weil es gelingt, den Betrieb nach den Luftangriffen unverzüglich wieder anlaufen zu lassen. Auf den Bahnhöfen informieren so genannte "Zugverkehrskarten" die Fahrgäste anhand von farbigen Streckenkennzeichnungen, wo die Züge nicht fahren. Veränderungen werden telefonisch durchgesagt. Kittlaus hat sich mit der Zeit sogar Kenntnisse im Bombenentschärfen angeeignet, wird seine Schwägerin später berichten. Das ewige Warten auf die wenigen Fachleute dauert ihm einfach zu lange. So erklärt er gegebenenfalls selber die Strecken für befahrbar. Auch die Nächte verbringt er häufig auf den Strecken und Bahnhöfen. Sonst hockt er wie die meisten Berliner im Luftschutzkeller. Selbst dort verfügt er über Drahtfunk, um frühzeitig Informationen zum Kriegsverlauf zu erhalten und um Weisungen abzusetzen. Wenn er zu Hilfe gerufen wird, bedient seine Frau das Telefon.

Bereits 1933 trat Kittlaus der NSDAP bei. Einerseits passt dies zur konservativ-preußischen Grundhaltung eines pflichtbewussten Eisenbahners, andererseits wäre es bei seiner Dienststellung später ohnehin unvermeidbar gewesen. So musste er im August 1945 die S-Bahn verlassen. Später war er von der sowjetischen Besatzungsmacht dienstverpflichtet worden. Hiermit machten sich die Besatzer den Sachverstand deutscher Fachleute nutzbar. Dann soll er in der Deutschen Wirtschaftskommission (DWK) tätig gewesen sein. Ihre Aufgaben bestanden darin, die Anforderungen der Sowjetischen Militär-Administration (SMAD) in praktisches HandeIn umzusetzen. Spätere Mitarbeiter erinnern sich daran, dass Kittlaus seit jenen Tagen "bestes Einvernehmen mit den Russen" hatte.

Die heraufziehende Berlin-Krise infolge der Währungsreform vom Juni 1948 ließ massive Probleme für den einheitlichen S-Bahn-Betrieb befürchten. Im Schatten der Blockade der Westsektoren brauchte die S-Bahn einen Praktiker, der fachliche und persönliche Qualitäten aufwies. Auf Weisung des Generaldirektors der Eisenbahn, Kreikemeier, wurde Kittlaus im April 1949 zur S-Bahn zurückgeholt, und zwar als deren Leiter.


  eine Seite vor

nach oben