Wer heutzutage Fahrzeuge nicht nur des Nahverkehrs betritt, den erwartet beim Türschließvorgang – egal ob manuell oder automatisch eingeleitet – ein Piepen, Pfeifen, Klingeln oder eine Klangfolge. Ab 1906 sorgte der erhobene Befehlsstab für ein beschleunigtes Einsteigen, ab 1928 wurde in Berlin vor der Abfahrt des Zuges durch den Aufsichtsbeamten mit dem Ruf „Zurückbleiben“ gewarnt. In den Zügen jedoch blieb es ruhig. Als 1959 der ET 170 zur Erprobung an die S-Bahn übergeben wurde, gab es in ihm eine Innenraumbeschallung; deren Lautsprecher waren beiderseits des mittigen Leuchtbandes in die Decke verbaut [1]. Inwieweit diese tatsächlich für Informationen genutzt wurden, entzieht sich der Kenntnis des Autors. 1969 endeten nicht nur die mittlerweile sporadischen Einsätze des „Blauen Wunders“, sondern somit auch der erste Versuch einer Fahrgastinformation im Zuginneren.
Abfertigungsruf: Zurückbleiben!
Aufnahme: © Lutz Jordan, 1980
Im Rahmen der Modernisierung der Baureihe 277 entschloß sich die Deutsche Reichsbahn, analog zu anderen Nahverkehrsfahrzeugen der DDR, eine optisch-akustische Warnanlage einzubauen. Am 6. Dezember 1975 setzte sie auf der Zuggruppe B/H (Erkner—Friedrichstraße—Königs Wusterhausen—Friedrichstraße) erstmals einen Wagenzug – bestehend aus 277 025/026, 307/308, 401/402 und 269/270 [2] - der liebevoll/gehässig betitelten "Warzenschweine" mit eingeschalteter Warnanlage ein. Das entsprechende Schreiben aus der Verwaltung der S-Bahn vom 28.11.1975 vermerkt dazu:
Sie (die Warnanlage-d.A.) besteht aus einer roten Lampe über jeder Tür eines Wagens (innen und außen) und einem Summer.
Sie ist mit der Türschließeinrichtung gekoppelt und wird vom Tf betätigt. Bei Betätigung leuchten die roten Lampen über jeder Tür auf. Gleichzeitig ertönt ein Summerton. Damit wird den Reisenden angezeigt, daß das weitere Ein- und Aussteigen wegen des unmittelbar danach einsetzenden automatischen Türschließvorganges nicht mehr gestattet ist. (...)
Während der Erprobung ist die bevorstehende Abfahrt des Zuges neben der optisch-akustischen Warnung zunächst noch weiterhin durch den Warnruf "zurückbleiben" anzukündigen. Unverändert ist danach, wenn kein Hindernisgrund der Abfahrt entgegensteht, das Signal zum Schließen der Türen an den Tf zu erteilen. Alsdann leitet der Tf den optisch-akustischen Warnvorgang ein, der 3 Sekunden andauert. Während des Türschließvorganges ist, wenn kein Hindernisgrund der Abfahrt des Zuges entgegensteht, das Abfahrsignal zu geben [3]
Des weiteren waren die Aufsichten angehalten darauf achtzugeben, das alle Warnlampen aufleuchteten. Schon der Ausfall einer Lampe zog nicht nur eine Meldung an den zuständigen Dispatcher nach sich, der Zug mußte zudem an einem Bahnhof, an dem sich eine Werkstatt befand, aussetzen. Von dieser Regelung ging man in den nachfolgenden Jahren jedoch wieder ab.
Artikel der Berliner Zeitung vom 4. Dezember 1975
Artikel entnommen: Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz ZEFYS.Staatsbibliothek Berlin
Mit freundlicher Freigabe der DuMont Service GmbH.
Sechs Wochen nach dem Erprobungsbeginn konnten die Leser der Berliner Zeitung entnehmen, daß diese neue Einrichtung die Sicherheit der Fahrgäste erhöhen soll. Da der Fahrgastwechsel ruhiger verläuft und die Anzahl der sogenannten „Aufspringer“ zurückgegangen ist, denke man daran, sie in alle Züge einzubauen. Ab diesem Zeitpunkt sollte dann auch die Aufforderung „Zurückbleiben“ nicht mehr ausgerufen werden [4]. Der anfängliche Summerton wurde später (ein genauer Termin ist derzeit nicht bekannt) gegen ein Klingelgeräusch getauscht. Diese Neuerung baute die Reichsbahn nur in ihre modernisierten Züge der Baureihen 276 und 277 ein. Die Viertelzüge der Baureihe 275 (spätere BR 475) blieben bis zu ihrem Betriebsende im Dezember 1997 stumm.
Warnton: Klingel
Aufnahme: © Sirko Fietzner am 13.4.1988
Artikel der Berliner Zeitung vom 19. Januar 1976.
Artikel entnommen: Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz ZEFYS.Staatsbibliothek Berlin
Mit freundlicher Freigabe der DuMont Service GmbH.
Trotz umfangreicher Recherche war es uns nicht möglich, ein Tonbeispiel des alten Summertons aufzufinden. Vielleicht wissen Sie ja, wo man diesen findet bzw. besitzen eine entsprechende Videosequenz oder eine Tonaufnahme und können uns diese zur Verfügung stellen. Bitte melden Sie sich.
Ab dem 9. Februar 1976 verkehrte im Umlauf N 19 (Bln-Grünau—Bernau) ein zweiter modernisierter Vollzug, bestehend aus 277 343/344, 007/008, 093/094 und 363/364.
Eine Klangfolge für die nächsten Jahrzehnte: Diiieee, daaah, düüü
Unter dem sperrigen Titel „Vorschläge für die Farbgestaltung der Berliner Verkehrsmittel und die niveauvolle Gestaltung des äußeren Bildes der Verkehrsanlagen und - einrichtungen im Personenverkehr einschließlich des Informationssystems für die Reisenden“ stellte der damalige Verkehrsminister der DDR, Otto Arndt, im November 1983 dem SED-Politbüro eine Vorlage vor. Das Papier konstatiert am Anfang:
Der Istzustand der Informationsmittel von S-Bahn, U-Bahn, Straßenbahn, Omnibus und Taxi ist dadurch gekennzeichnet, daß uneinheitliche Informationen nebeneinander und losgelöst voneinander bestehen, die eine Nutzung des miteinander verflochtenen Nahverkehrssystems dem Besucher der Hauptstadt erschweren [5].
Nicht nur, daß man eine einheitliche Farbkodierung (U-Bahn chinablau, S-Bahn smaragdgrün, Straßenbahn rotorange, Omnibus gelborange und Taxi violett) und „niveauvolle Gestaltungen“ der entsprechenden Informationszentren schaffen wollte, auch die Herausgabe eines einheitlichen Informationsheftes, eines Taschenfahrplanes sowie die Weiterleitung von Informationen an Presse und Rundfunk bei Abweichungen vom Regelbetrieb gehörten dazu. Zudem war man sich bewußt:
2. Informationstechnik auf elektrischer und elektronischer Basis
Die Anwendung von Informationstechnik auf elektrischer und elektronischer Basis ist gegenwärtig in ihrem Umfang begrenzt und in der Gerätetechnik sehr störanfällig.
Für die akustische und visuelle Information sind deshalb Systeme für folgende Anwendungsbereiche zu entwickeln, hinsichtlich ihrer Gestaltung aufeinander abzustimmen und zu fertigen [5].
Neben neuer Uhren, Zugabstandszeigern, Funkanlagen, Fahrzielanzeigern und Bildschirminformationen bilanzierte man ab 1984 u.a. 170 Lautsprecheranlagen für Fahrzeuge, inwieweit sich diese auf welche Verkehrsmittel verteilen, wird aus dem Protokoll nicht ersichtlich. Weiterhin regte man die Beschaffung mehrerer tausender Fahrkartenautomaten, Entwerter und Zahlboxen an. Die Vorlage wurde bestätigt.
Nach über zwei Jahren konnte die Reichsbahn eine ihrer Lösungen zeigen. Im März 1986 teilte die Verwaltung der S-Bahn den beiden Ostberliner S-Bahnbetriebswerken folgendes mit:
Im Raw „Roman Chwalek“ wurde der Vz 277 409 mit einer Beschallungsanlage zur Erprobung ausgerüstet.
Der Triebfahrzeugführer soll mit dieser Beschallungsanlage die Reisenden über die Bahnhofsfolge, sowie bei Störungen informieren. Vorerst sind die Bahnhofsansagen mit dem Mikrofon der Funkanlage vorzunehmen und später erfolgen diese Ansagen über ein Kassettenbandgerät [6].
Um die Beschallung einzuführen, änderte die Reichsbahn die Steuerung der Heizungsanlage durch Neuschaltung der Steuerleitungen 617, 618, 8, 9 und 10. Lief der Probeviertelzug an der Zugspitze, konnten in den anderen Viertelzügen nur noch die Heizstufen 1 und 2 eingestellt werden. Lief er hingegen am Ende des Zuges, wurde weiterhin bei Bedarf auch mit der höchsten Heizstufe 3 geheizt [6].
Im selben Schreiben regelte man auch gleich die Sprachtexte [6]:
Am 26. März 1986 erklang erstmals im Regelbetrieb der Zweiklang. Über neu eingebaute Innenlautsprecher konnte nun eine Reisendeninformation erfolgen. Anfänglich war das natürlich ein sehr rares Hörvergnügen, doch nach und nach baute man weitere S-Bahnfahrzeuge entsprechend um. Wie es zu der Tonfolge kam? Gerhard Iben, damals Betriebsingenieur bei der S-Bahn und in den 1990er Jahren Leiter Fahrdienst, erinnerte sich dazu im Jahre 2004:
Wir haben uns damals in einem kleinen Hinterzimmer mit einem Tonfrequenzgeber unermüdlich viele, viele Töne angehört. (…) Es durfte nichts Schrilles sein, die Fahrgäste sollten ja nicht aufgeschreckt sein. [7]
Warnton: Zweiklang.
Aufnahme: © Mike Straschewski; 2004
Zweiklang oder Dreiklang?
Der Warnton der Berliner S-Bahn besteht - entgegen der landläufigen Meinung - nicht aus einem Dreiklang. Ein Dreiklang ist ein Akkord - das sind Töne, die zur selben Zeit erklingen. Der Warnton besteht nur aus zwei Tönen (C und E) auf C-Dur bezogen. Sie erklingen nacheinander als C – E – C. Unser Tonbeispiel ist in Fis-Dur, was den Warnton in Fis – B – Fis erklingen läßt.
Zum Dreiklang fehlt dem Warnton ein weiterer Intervall (Quarte, Quinte, Sexte usw.) Seine Tonabstände zeigen sich als große Terz.
Da die Digitalisierung von der Erstfassung von den originalen analogen Abspielbändern stammt, können auch heute Fahrgäste mit einem guten Gehör zu Beginn der Tonfolge ein Knistern hören. Die BR 270 (heutige BR 485) sowie die BR 480 bekamen von Anfang an eine optisch-akustische Warneinrichtung sowie eine Fahrgastraumbeschallung. Bei der BR 270 (Serienfertigung ab 1987) mußten die Ansagen anfangs noch die Triebfahrzeugführer (Tf) sprechen. Zu einem späteren Zeitpunkt war eine Beschallung mit Kassetten vorgesehen, dazu kam es jedoch nicht mehr. Ab Juli 1991 rüstete LEW Hennigsdorf die neuzubauenden Fahrzeuge (ab 485 104) gleich mit einem Integrierten Bord-Informations-System der Firma Wandel & Goltermann aus. Alle davor gebauten Fahrzeuge wurden nachgerüstet [8]. Heutzutage ist diese Klangfolge sowie die Stationsansagen bei allen Regelbaureihen digital hinterlegt.
Die BR 480 (Serienfertigung ab 1990) gab von Anfang an die Informationen elektronisch an die Fahrgäste weiter. Zudem besaßen die Prototypen auf einem Haltestellenplan eine LED-Anzeige, um den Standort des Zuges zu markieren. Der Warnton bestand zudem nur aus einem einzelnen Ton; dieser wurde erst in den 1990er Jahren auf den Zweiklang umgerüstet.
"Elektronische Spinne" der BR 480, die mittels Leuchtdioden (siehe Vergrößerung) den aktuellen Bahnhofsstandort anzeigte.
Warnton: BR 480 Prototypen.
Aufnahme: © 7aluaP, Youtube
Die Anfang Januar 1984 von der Reichsbahn zur Westberliner BVG übergegangenen Fahrzeuge der BR 275 bekamen trotz einer umfangreichen Instandsetzung keine Beschallung. Der damalige BVG-Chef Erich Kratky räumte im Tagesspiegel ein, daß man „diese Möglichkeit (…) schlicht vergessen“ hatte [9].
Anfang 1991 war die Reichsbahn soweit, die Zugbeschallung mittels Audiokassetten durchzuführen. Mit Datum vom 26.4.1991 erging eine „Anweisung zur Bedienung der Beschallungsanlage in den S-Bahnfahrzeugen – Kassettenbetrieb“ [10]. Begann ein Triebfahrzeugführer in einem S-Bahnbetriebswerk, nahm er neben den Schlüsseln für seinen vorgesehenen Zug auch für jede Fahrtrichtung eine Kassette mit, die die Stationsansagen für die zu befahrene Strecke enthielt. Für den bspw. im S-Bw Friedrichsfelde stationierten Reservezug Lichtenberg (Res Blo) mußte der Tf alle zehn Kassetten mitführen und bereithalten. Ein Zurückspulen der Kassette während des Dienstes war nicht vorgesehen, die nur einseitig bespielten Datenträger enthielten mehrfach hintereinander die Ansagen für eine Richtung. Nachfolgend finden Sie zwei Hörbeispiele, das Beispiel 1 ist 15 Mal auf eine 30-minütige Kassette aufgespielt, Beispiel 2 fünf Mal.
S7 - Zuggruppe Richard Bln-Lichtenberg—Ahrensfelde (nur Sa und So), Abspielzeitraum: wahrscheinlich ab Sommerfahrplan 1992 (ca. 1,2 MB).
Aufnahme: © Deutsche Reichsbahn, Sammlung Straschewski
S5 - Zuggruppe Emil: Charlottenburg—Strausberg Nord (täglich), Abspielzeitraum: wahrscheinlich ab Sommerfahrplan 1992 (ca. 5,2 MB).
Aufnahme: © Deutsche Reichsbahn, Sammlung Straschewski
Lange hielt sich auch dieses Verfahren nicht, ab Mitte der 1990er Jahre waren die Kassetten aus den Führerständen verschwunden, die Beschallung erfolgte – je nach Lust und Laune und wenn überhaupt – durch den Triebfahrzeugführer persönlich. Während es bei dem einen gerade so zum Stationsnamen reichte, erzählten andere ganze Romane. Die in den nächtlichen Pausen in den Abspielgeräten eingelegten privaten Musikkassetten beendeten die Wiedergabe vorzeitig schon einmal mit Bandsalat. Somit endete dieser Versuch einer Fahrgastraumbeschallung still und leise.
Von Mitte Mai 1995 bis zum Dezember 1997 verkehrte erstmals ein mit Vollwerbung versehener Halbzug, der für den damaligen Radiosender "Hundert,6" warb. Im Innern des Zuges spielte man Ausschnitte des Radioprogrammes mittels Musikkassetten ein. Diese Dauerberieselung endete noch vor Ablauf des Werbevertrages, die Fahrgäste zeigten sich mit der Zeit genervt.
Ausblick
Mit der vsl. ab 2021 beginnenden Inbetriebnahme der neuen Baureihen 483/484 im Fahrgastbetrieb wird nach derzeitigem Stand aufgrund neuerer Vorschriften und Normen auch der Zweiklang durch eine neue Tonfolge beim Türenschließen ersetzt werden.
Auch wenn der S-Bahn der Zweiklang wahrscheinlich über das Jahr 2030 hinaus in den Fahrzeugen der Baureihen 480 und 481 erhalten bleiben wird, verliert sie damit ein Alleinstellungsmerkmal. Zumindest bleibt die Tonfolge in der Musikgeschichte erhalten:
Autor:
Mike Straschewski
Quellen:
[1] Das blaue Wunder; Seite 209
[2] Kurzmeldung; Verkehrsgeschichtliche Blätter; Heft 1/1976
[3] Erprobung einer optisch-akustischen Warnanlage an Wagenzügen der elektrischen Berliner S-Bahn; Schreiben der Rbd Berlin vom 28.11.1975
[4] Wie klappt’s mit Rot und Summerton?; Berliner Zeitung vom 19. Januar 1976
[5] Vorschläge für die Farbgestaltung der Berliner Verkehrsmittel und die niveauvolle Gestaltung des äußeren Bildes der Verkehrsanlagen und -einrichtungen im Personenverkehr einschließlich des Informationssystems für die Reisenden; Reinschriftenprotokoll 45/83 der Sitzung des Politbüros des Zentralkomitees vom 29. November 1983; Signatur im Bundesarchiv: DY 30/J IV 2/2/2032
[6] Beschallungsanlage für die Berliner S-Bahn; Schreiben der Rbd Berlin vom 24. März 1986
[7] Diiieee, daaah, düüü - 25 Jahre Wohltat oder Terror?; Märkische Oderzeitung vom 15. März 2004
[8] Kurzmeldungen Berliner Verkehrsblätter; Hefte 12/1991 und 5/1992
[9] BVG will „Steinzeitmanier“ bei Zugabfertigung aufgeben; Tagesspiegel vom 15. Mai 1988
[10] TB-Protokoll S-Bw Friedrichsfelde; Sitzung vom 3. Mai 1991
[11] Kurzmeldung; Verkehrsgeschichtliche Blätter; Heft 3/1976
Zeitzeugenaussagen
letzte Änderung:
21. August 2018
Veröffentlichung:
20. August 2018 (neue Version), 26. Oktober 2008 (alte Version)