Die Panorama-S-Bahn


Werte Besucher dieser Seite:
Der nachfolgende Aufsatz befasst sich mit der Geschichte der Panorama-S-Bahn.
Für Fragen, die den derzeitigen Einsatz der Panorama-S-Bahn beinhalten, wenden Sie sich bitte an die Kundenbetreuung der S-Bahn Berlin GmbH. Vielen Dank.

Die Idee

Nach dem Fall der Mauer und der Vereinigung der beiden deutschen Staaten hatten beide Seiten ein starkes Verlangen, die so genannte andere Seite kennenzulernen. Einige Unternehmen im Tourismusverkehr auf der Straße entwickelten aus alten Bussen neue Fahrzeuge für Stadtrundfahrten. Diese haben ein offenes Verdeck bzw. ein Verschiebedach.

Im Jahre 1994 hatte der damalige Geschäftsführer der S-Bahn Berlin GmbH, Dr. Axel Nawrocki, den Gedanken, einen S-Bahn-Zug auf die gleiche Weise umzubauen. Erst im Jahre 1996 wurde diese Idee konkreter, auf ihr basierte der nun zum Jahresende beginnende Bau der Panorama-S-Bahn. Dieser besondere Zug ähnelt im Prinzip dem "Gläsernen Zug" der Baureihe 491, der bei einem Unfall Ende 1995 zerstört wurde. Auffallend für den Besucher sind die bis zum Dach reichenden großen Fenster wie auch das angenehme Ambiente der Innenausstattung. Nicht nur seitlich kann man viel entdecken, die gläserne Führerstandsrückwand ermöglicht einen Blick auf die Strecke aus der Perspektive des Triebfahrzeugführers.

Bild: Zugeinfahrt in Treptower Park

Stadtrundfahrten machen am meisten Laune, wenn die Sonne scheint. Dieses Argument war aber nicht ausschlaggebend für die interne Funkbezeichnung "Sonne" der Panorama-S-Bahn. Jemand vom Marketing könnte zumindest fabulieren: In Berlin zog die Sonne auf ihrer eigenen Kreisbahn durch die Metropole.

Der komplette Zug verfügt über 65 Sitzplätze, deren Sessel sich um 180° drehen lassen, somit kann jeder Fahrgast immer in Fahrtrichtung sitzen. Die Sitze verteilen sich zu je 26 auf die beiden Triebwagen und 13 im Beiwagen. In letzterem befindet sich auch die Bar. Eine Klimaanlage, eine Audioanlage für Erklärungen während der Rundfahrten sowie eine behindertengerechte Toilette im Beiwagen komplettieren die Ausstattung.

Der Umbau

Die Kosten für den zweijährigen Umbau betrugen insgesamt ca. 6,8 Millionen DM (ca. 4,3 Millionen Euro*). Die Entwicklung und der Bau des Zuges fanden in vollständiger Eigenleistung der S-Bahn-Hauptwerkstatt (Hw) Schöneweide statt. Der Zug besteht aus den elektrischen Triebwagen (ET) 488 001 (ex 477 105) und ET 488 501 (ex 477 130) und dem elektrischen Beiwagen (EB) 888 001 (ex 877 130). Diese Fahrzeuge wurden am 23. Oktober 1996 für den damals bevorstehenden Umbau in die Hauptwerkstatt überführt. Der Beiwagen 877 105 wurde neu dem Triebwagen 477 114 zugeordnet, da dessen Beiwagen wegen schwerer wagenbaulicher Schäden ausgemustert werden musste.


Spenderfahrzeug 477 105-1 877 130-5 477 130-9
ex-Nummer (bis 1.1.1992) 277 239-0 277 292-0 277 291-1
ex-Nummer (bis 1.1.1970) ET 167 228 EB 167 281 ET 167 281
Baujahr 1943 1958 1944
Baufirma Dessauer Waggonfabrik RAW Bln-Schöneweide Dessauer Waggonfabrik
Umbau 1997 - 99
in (heutige Nummer) 488 001-9 888 001-5 488 501-8
Achsfolge Bo'Bo' 2'2' Bo'Bo'
Länge einzeln 17.255 mm 17.605 mm 17.255 mm
Länge über Kupplung 54.065 mm
Leergewicht 44,4 t 36,6 t 44,4 t
Leergewicht gesamt 125,4 t
Höchstgeschwindigkeit 80 km/h
Stundenleistung 8 x 90 kW = 720 kW
Dauerleistung 8 x 63 kW = 504 kW
Beschleunigung 0,3 m/s² bzw. 0,5 m/s²
Sitzplätze - einzeln 8 13 8
Sitzplätze - doppelt 18 - 18
Rollstuhlstellplatz - 2 -
Doppeltür je Wagenseite 1 1 1

Einige der Arbeitsschritte in zeitlicher Abfolge:

Am 20. Januar 1999 wurden im Rahmen einer Pressekonferenz die letzten größeren Arbeiten vor den Augen der versammelten Journalistenschar durchgeführt. Bevor im Frühjahr die erste Probefahrt erfolgen konnte, waren noch diverse Einbauarbeiten nötig, so z. B. der Einbau aller Fahrgastsitze. Die erste Probefahrt fand im Mai 1999 statt, dieser schlossen sich noch weitere Testfahrten bis in den Sommer hinein an. Am 6. August 1999 war es dann endlich soweit: Um 11.00 Uhr wurde dieses fertige Schmuckstück auf dem Bahnhof Grunewald der anwesenden Presse vorgestellt und dem Betrieb übergeben.

Regelmäßige Fahrten ...

Seit August 1999 lud die Panorama-S-Bahn regelmäßig zu Rundfahrten ein, als Standardfahrt gab es die Relation Bln-Ostbahnhof—Südring—Charlottenburg—Stadtbahn—Bln-Ostbahnhof. Weitere thematische Streckenfahrten zu Jubiläen und Grossveranstaltungen sowie Charterfahrten für Firmen, Privatleute und Vereine führten den Zug quer durch das S-Bahnnetz.

Geadelt im wahrsten Sinne des Wortes wurde der Zug am 3. November 2004. Das britische Staatsoberhaupt, Queen Elizabeth II., weilte in Berlin und nutzte für ihren Besuch der brandenburgischen Landeshauptstadt Potsdam die Panorama-S-Bahn. Bei Tee und Gebäck ließ sie sich vom damaligen Bahnchef Mehdorn sowie vom Regierenden Bürgermeister Wowereit die Bundeshauptstadt aus der Bahnperspektive erklären. Da im Nachhinein keine Klagen ihrer Majestät zu vernehmen waren, muss es ihr wohl sehr gut gefallen haben.

Bild: Königlicher Besuch

Berlin-Ostbahnhof, Gleis 11 am 3. November 2004: Ihre Majestät steigt ein, der Regierende Bürgermeister von Berlin folgt.

Seit Juli 2008 wird der Zug offiziell nur noch als "Panorama-Bahn" bezeichnet - warum, das wird wohl ein Geheimnis der Marketingexperten bleiben. Drei Monate später im Oktober begrüßte das engagierte Team des Zuges den 150.000 Fahrgast.

... und das (vorläufige?) Ende des Zuges

Im Mai 2009 begann die S-Bahnkrise. Bei der für den S-Bahnverkehr verantwortlichen S-Bahn Berlin GmbH hatten sich nach jahrelangen Einsparungen bei Material, Personal und Betriebsmitteln genügend Mängel angestaut, so daß sich das Eisenbahn-Bundesamt als oberste Behörde genötigt sah, durch entsprechende Auflagen die Sicherheit der Fahrgäste und Mitarbeiter zu gewährleisten. Daraufhin brach in den folgenden Monaten der S-Bahnverkehr in der Bundeshauptstadt immer wieder zusammen oder konnte nur auf Teilabschnitten durchgeführt werden.

Aufgrund des nun erhöhten Wartungs- und Instandhaltungsaufwandes in den verbliebenen Fahrzeugwerkstätten und des daraus folgenden ausgedünnten Zugangebotes wurde von weiteren Fahrten der Panorama-S-Bahn abgesehen, nicht nur, weil die vorhandenen Werkstattkapazitäten für die Regelfahrzeuge gebraucht wurde, auch wollte man keine Rundfahrten anbieten, während an den Bahnsteigen die normalen Fahrgäste auf ihre Züge warten mußten.

Der letzte planmäßige Einsatz mit Fahrgästen fand am 26. Juni 2009, einem Freitag, statt. Diese gecharterte Fahrt führte von Bln-Ostbahnhof via Südring, Nordring, Ostkreuz, wieder Südring, Charlottenburg, Stadtbahn wieder zurück zum Ostbahnhof. Am folgenden Wochenende waren keine Fahrten geplant, die für das kommende Wochenende (4./5. Juli 2009) geplanten Stadtrundfahrten wurde Ende Juni abgesagt.

Das Fahrzeug wurde daraufhin abgestellt, einzig im Juli 2009 fanden noch zwei innerbetriebliche Fahrten zwischen der Triebwagenhalle Erkner und dem S-Bahnbetriebswerk Wannsee statt, um die Toilette zu entleeren. Die vorletzte Fahrt war am Freitag, dem 17. Juli 2009 (Fahrtverlauf: Erkner—Bln-Ostbahnof—Hermannstraße—Ostring—Gesundbrunnen—Nordsüd-S-Bahn zum S-Bw Wannsee), die allerletzte Fahrt erfolgte am darauffolgenden Montag (20. Juli 2009) im umgekehrten Fahrtverlauf. Um 12.24 Uhr wurde der Zug von der Deckenstromschiene in der Triebwagenhalle Erkner getrennt, unmittelbar darauf die Batteriehauptsicherungen entfernt. Um 12.30 Uhr endete somit die Einsatzzeit der Panorama-S-Bahn. Das Fahrzeug wurde bis zu seiner Überführung nach Halle-Ammendorf nur noch zu Rangierzwecken bewegt.

Bild: Überführung nach Halle Ammendorf

Auf ihrer Fahrt nach Halle-Ammendorf am 30. November 2011 passiert die Überführungsfahrt, angeführt von der Locon 205, den S-Bahnhof Greifswalder Straße.
Die beiden Flachwagen ermöglichen die Kuppelbarkeit zwischen der Lok (Schraubenkupplung) und der Panorama-S-Bahn (Scharfenbergkupplung).

Am 30. November 2011 wurde der Zug auf dem Schienenwege nach Halle zur Maschinenbau und Service GmbH Ammendorf überführt. Dort verbleibt der Zug vorerst, bis sich entschieden hat, was weiter aus ihm wird. Einer Wiederinbetriebnahme stehen derzeitig die hohen Kosten gegenüber. Aus der Antwort zu einer Kleinen Anfrage eines SPD-Abgeordneten im Berliner Abgeordnetenhaus vom 4. Juli 2013 geht hervor, daß die Kosten dafür bei "bis zu über 2 Mio. Euro" lägen. Als Gründe für diese Summe werden in dem Schreiben angegeben:

In den letzten vier Jahren wurden im Rahmen der detaillierten Untersuchungen zahlreiche Erkenntnisse zu den Altbaureihen gewonnen, die zu umfangreichen Überarbeitungen der Regelfahrzeuge geführt haben. Im Lichte dieser Erkenntnisse müsste ein entsprechendes Engineering auch für den Panoramazug und daran anschließend die entsprechenden Umbauten erfolgen.

Das heißt, es müssten umfangreiche Unterlagen, Zeichnungen und Berechnungen und entsprechende Nachweise für die zulassende Behörde erstellt und eingereicht werden. Es scheint derzeitig sehr wahrscheinlich, daß die Wiederinbetriebnahme der Panorama-S-Bahn fast wie eine Neuzulassung gehandhabt werden könnte. Da hier noch nicht endgültig das letzte Wort gesprochen wurde, ist über das weitere Schicksal des Zuges noch nicht entschieden, aber:

Sollte sich die oben genannte Größenordnung (über 2 Mio. Euro d.A.) für den Ertüchtigungsaufwand bei genauerer Befassung bewahrheiten, sieht die S-Bahn Berlin GmbH keine finanzielle Möglichkeit, den Panoramazug wieder in Betrieb zu nehmen.

Das wäre dann wohl das Ende des Zuges. Denn egal wer den Zug danach nochmals in Rollen bringen wollte, das Wiederzulassungsverfahren und auch die damit verbundenen Kosten dürften bleiben. Dann bliebe für den Zug nur noch eine Zukunft als Ausstellungstück oder der Schrottplatz.

Am 21. April 2015 wurde der Zug nach Erkner zum Verein Historische S-Bahn e.V. rücküberführt und ist nun in der Triebwagenhalle Erkner abgestellt.


Autor:
Mike Straschewski

Quellen und weiterführende Buchtipps:
Berliner Verkehrsblätter, Heft 10/1999, Wolfgang Kramer
Festbroschüre "75 Jahre Hauptwerkstatt Schöneweide"; S-Bahn Berlin GmbH; 2002
Berliner Zeitung vom 21.Januar 1999
Ehemalige Webseite zur Panorama S-Bahn (nicht mehr aufrufbar)
Kurzmeldung der Berliner Verkehrsblätter, Heft 12/2004
Kurzmeldung der Berliner Verkehrsblätter, Heft 9/2008
[1] Kleine Anfrage des Abgeordneten Ole Kreins (SPD) unter dem Titel "Panorama S-Bahn im Dornröschenschlaf?" vom 4. Juli 2013 - Drucksache 17/12403; Berliner Abgeordnetenhaus

* Hinweis zur Euro-Berechnung:
Die im Jahre 1999 zum Umbau veranschlagten 6,8 Millionen DM betrugen zum damaligen Umrechnungskurs 4.328.122,61 €; mit dem 2012er-Umrechnungskurs würden die Kosten für den Fahrzeugumbau heute 3.546.321,21 € betragen. Die Umrechnungen wurden durch die Webseite Webseite altersvorsorge-und-inflation.de ermittelt, Daten ohne Gewähr.

letzte Änderung:
29. Juli 2015

Veröffentlichung:
3. September 2013 (neue Version), 26. Oktober 2008 (alte Version)

nach oben