Die Siemensbahn


Nachdem 1899 Siemens sein Kabelwerk in das bis dahin nur von Wald und Sumpf durchzogene Areal nördlich von Charlottenburg verlagerte, fehlte in diesem Gebiet eine vernünftige Verkehrsanbindung. Als erstes wurde an der Hamburg/Lehrter Bahn um 1905 ein von Siemens bezahlter Haltepunkt bei Fürstenbrunn eingerichtet. Zur besseren Anbindung des nördlich der Spree gelegenen Gebiets wurde ebenfalls durch Siemens eine Brücke über die Spree finanziert. Um 1908 bestanden erstmals auch Umsteigemöglichkeiten zwischen den Berliner Vorort-, Ring- und Stadtbahnen. Im gleichen Jahr errichtete Siemens auch eine Straßenbahnverbindung von Spandau zum Nonnendamm, die später bis Charlottenburg verlängert wurde.

untere Spreebrücke

Die untere Spreebrücke.

In den 1920er Jahren arbeiteten schon bis zu 50.000 Mitarbeiter in dem seit 1914 Siemensstadt genannten Gebiet. Die Beschäftigtenzahlen unterlagen in der 1920er Jahren großen Schwankungen: arbeiteten im Jahre 1924 schon über 45.000 Personen in den Siemensstädter Werken, so stieg diese Beschäftigtenzahl im Jahre 1925 auf über 55.000, um im nachfolgenden Jahr wieder auf ca. 44.000 abzusinken. Ab 1927 nahm die Anzahl der Beschäftigten wieder zu, so daß zur Inbetriebnahme der Siemensbahn über 66.000 Personen bei Siemens in Lohn und Brot standen.

Der Bahnhof Fürstenbrunn war von Siemensstadt aus mit einer halben Stunde Fußweg erreichbar. Zusätzliche Arbeiterzüge auf dieser Vorortstrecke nach Spandau wurden durch die Deutsche Reichsbahn zwar eingelegt, jedoch war bald darauf - unter Rücksicht auf die Fernzüge - die Grenze der Leistungsfähigkeit der Hamburger und der Lehrter Bahn erreicht. Eine Planung sah z.B. vor, daß eigene Vorortgleise von der Ringbahn bis nach Fürstenbrunn geführt werden sollten - für den gleichnamigen Bahnhof war ein viergleisiger Ausbau vorgesehen. Doch die südliche Lage der Station hätte die verkehrliche Anbindung des nördlich gelegenen Gebiets kaum verbessert.

Westeingang

Der Westeingang des Bahnhofes Siemensstadt strahlt eine schlichte Eleganz aus.

Somit bildete die Straßenbahn weiterhin das Rückgrat des Arbeiterverkehres. Diese verkehrte auf dem einzigen großen Straßenzug in Ost-West-Richtung: dem Siemensdamm/Nonnendamm-Allee. Im Winter 1928/29 zählte man über 18.800 Personen, die die Straßenbahn im Frühverkehr (5.25 Uhr bis 8.14 Uhr) von Jungfernheide nach Siemensstadt benutzten. Aufgrund dieser verkehrlichen Erschwernisse staffelte Siemens in den einzelnen Betriebsteilen den Beginn und das Ende der Arbeitszeiten um bis zu zwei Stunden. Das jedoch wirkte sich wieder auf die Betriebsverhältnisse der Werke und deren Leistungsfähigkeit aus. Eine weitere Verdichtung des Straßenbahnverkehres war aus Kapazitätsgründen (es fuhren zeitweise schon bis zu 65 Züge/Stunde!) kaum mehr möglich.

Als weitere Lösungsansätze sah man vor:

Gleichrichterwerk

Gleichrichterwerk Siemensstadt.

So blieb als wirtschaftlichste Lösung der Anschluß an die Nordringlinie der Reichsbahn. 1925 entschloß sich Siemens in Zusammenarbeit mit der Deutschen Reichsbahn (DR) zum Bau einer elektrischen Bahn durch Siemensstadt. Die Planung unterlag Hans C. Hertlein von Siemens sowie Richard Brademann von der DR. Mit dem Bau der 4 ½ Kilometer langen zweigleisigen und voll elektrifizierten Stichbahn, die die Arbeitsstätten von rd. 44% der Belegschaft durchfahren sollte, begann man 1927.

Die Siemenswerke brachten die Baukosten auf, stellten unter Aufsicht der Reichsbahn in eigener Regie den Bahnkörper her und übereigneten ihn ihr bei Betriebsbeginn gegen Erstattung einer festen Summe, die die Reichsbahn aus den zu erwartenden Betriebsüberschüssen errechnet hatte. Die von Siemens mit 14 Mio. Reichsmark (RM) bezahlte Strecke (deswegen Siemensbahn) wurde, nach der Fertigstellung und Inbetriebnahme am 18. Dezember 1929, der DR für 3 Mio. RM übertragen. Eine Rückgabeklausel zur eigenen Nutzung hat noch heute theoretischen Bestand.

Am 18. Dezember 1929 war es dann soweit: die Siemensbahn wurde ihrer Bestimmung übergeben. Wie wichtig die Bahn für das Unternehmen war, schrieb Dipl.-Ing. A. Prölss im Siemens Jahrbuch 1930:

Durch den Bau der Zweigbahn Jungfernheide-Siemensstadt-Gartenfeld wurde ein für die Belegschaft der Siemenswerke lebensnotwendiger, leistungsfähiger Anschluß an die Berliner Stadt- und Ringbahn hergestellt, deren Netz ... durch die nunmehr vollendete Umstellung auf den elektrischen Betrieb zur Aufnahme neuer Verkehrsadern besonders geeignet ist. Die in dem Raume zwischen Charlottenburg-Moabit einerseits und Spandau andererseits entstandenen Anlagen der Siemenswerke ... haben sich mit dem Fortschreiten ihrer räumlichen Ausdehnung immer mehr von der früheren Basis ihres Werksverkehrs - dem Bahnhof Siemensstadt-Fürstenbrunn an der Vorortbahn Berlin-Lehrter Bahnhof über Spandau nach Nauen und Wustermark - entfernt. Heute erstrecken sie sich über die ganze Breite des Geländes zwischen Spree und Hohenzollernkanal. [1]

Von Anfang an wurde die Siemensbahn von den Siemensianern sehr gut angenommen. Die von Jungfernheide verkehrende Straßenbahn verlor über die Hälfte ihrer Fahrgäste: zählte man nach der Inbetriebnahme noch 12.000 Personen, sank dieser Wert am Jahresanfang 1930 (auch wegen einer Tariferhöhung) auf rund 8-9.000 Reisende.

Ende der 1920er Jahre arbeiteten bis zu 90.000 Menschen bei Siemens, wobei ein großer Teil die S-Bahn nutzte, die im Berufsverkehr inzwischen schon direkt von Papestraße, Neukölln oder Warschauer Straße fuhr. Bis zu 12 Züge fuhren pro Stunde zwischen Gartenfeld und Jungfernheide je Richtung. An den Wochenenden wurde die Strecke auch gern von Ausflüglern genutzt, die in die Jungfernheide wollten.

Der Zugbetrieb

Da diese Stichbahn in das Netz der Berliner S-Bahn integriert wurde, führte die DR von Anfang an den 20-Minuten-Takt ein, den sie tagsüber auf einen 10-Minuten-Takt verdichtete. Zu den Zeiten des Berufsverkehres fuhren die Züge im 5-Minuten-Takt, signalmäßig war sogar eine Zugfolge von 2 ½ Minuten möglich.
Im Tagesverkehr fuhren die Züge zwischen Gartenfeld und Jungfernheide, im Berufsverkehr wurden weitere Züge von der Ringbahn auf die Stichstrecke zugeführt. Eine Abstellanlage zwischen den Bahnhöfen Siemensstadt und Gartenfeld sorgte zudem für weitere Züge zum schnelleren An- und Abtransport der Siemensianer. Mit dem neu entstandenden Kehrgleis 2 am neuen Bahnsteig C im Bahnhof Jungfernheide war auch vorgesehen, einen unmittelbaren Eckverkehr von Gartenfeld in Richtung Westend fahren zu können.
Außerhalb der Hauptverkehrszeiten fuhren die Züge zwischen Gartenfeld und Jungfernheide - mit dortigem Anschluß in beide Ringbahnrichtungen.

Einfahrt Jungfernheide 1979

Einfahrt in den Bahnhof Jungfernheide: auf der Brücke über den Tegeler Weg.
Der Zug links, aus dem heraus der Fotograf sein Bild schießt, kommt von Gartenfeld, der Peenemünder rechts von Spandau West (1979).

Die Signalanlagen

Auf ihrer neuen Hausstrecke baute Siemens natürlich nur die modernste Sicherungstechnik ein. Die Strecke wurde für den selbsttätigen Block ausgerüstet. Die schon im Jahre 1928 bei der Inbetriebnahme des Sv-Signalsystems auf der Stadtbahn verwendeten dreibegriffigen Lichtsignale wurden auch auf der Siemensbahn eingebaut. Zudem rüstete Siemens die Strecke auch gleich mit dem damals neuen Zugsicherungssystem Fahrsperre aus.
Strecke, Weichen und Signalanlagen wurden durch die beiden neugebauten Stellwerke Jun in Jungfernheide und dem Reiterstellwerk Gtf in Gartenfeld aus gesteuert. Eine Gleisfreimeldetafel erleichterte zudem die Überwachung der Betriebszustände.

Die Stromversorgung und technischen Anlagen

Für die Stromversorgung der Zweigbahn errichtete Siemens unmittelbar neben dem S-Bahnhof Siemensstadt ein Gleichrichterwerk. Dieses wandelte den vom Schaltwerk Halensee kommenden Drehstrom von 30 kV in Gleichstrom von 800 V um. Das geschah wie in allen Unterwerken der S-Bahn durch Quecksilberdampf-Großgleichrichter. Im Unterwerk Siemensstadt wurden 3 Gleichrichtereinheiten für je 1.500 A Dauerstrom aufgestellt. Damit war es baugleich mit denen von Niederschöneweide und Spandau-West.
Die gesamte elektrische Streckenausrüstung (Stromschienen, Bahnsteigbeleuchtungen, Sicherungsanlagen sowie die Telefon- und Uhrenanlage) wurden durch den Siemenskonzern gestellt und montiert.
Auch die Beleuchtung der Abstellanlage befand sich darunter. Wurden bis dato Anlagen von dieser Größe durch eine größere Anzahl von Lichtmasten in der Nacht ausgeleuchtet, genügten für die besagte Anlage zwei 30 Meter hohe Lichtmasten mit je 3 bzw. 4 Scheinwerfern. Dadurch konnte man eine Energieersparnis von etwa 50% gegenüber den herkömmlichen Anlagen erzielen - damals wie heute ein nicht zu unterschätzender Kostenfaktor.

Ein neu verlegtes Zentral-Fernsprechnetz versorgte vom Stellwerk Jun des Bahnhofes Jungfernheide aus alle Sprechstellen der neuen Strecke (Diensträume der Bahnhöfe, alle Fahrkartenausgaben, Gleichrichterwerk Siemensstadt und Stellwerk Gtf). In alle Fahrkartenausgaben baute man Alarmanlagen ein, die mit den Diensträumen auf den Bahnsteigen verbunden waren. Die Zeitdienstanlage (an ihr waren alle Uhren auf den Bahnsteigen, in den Diensträumen und den Zugangsbauwerken) wurde über den Unterabschnitt Charlottenburg - Fürstenbrunn an die bestehende Uhrenzentrale in Charlottenburg (Mutteruhr) angeschlossen.

Empfangsgebäude Gartenfeld

Das Bahnhofsgebäude Gartenfeld wurde bis 2012 passenderweise von einem Blumenhandel genutzt (31. Mai 2005).

Die weitere Entwicklung bis zur Betriebseinstellung

Da Siemens für die Kriegswirtschaft von Nazideutschland eine große Bedeutung besaß, nahm auch der Berufsverkehr stetig zu. Trotzdem gab es ab 1943 Einschränkungen im Zugverkehr, die bis zum Kriegsende weiter zunahmen. Das Ende des Zweiten Weltkrieges überstand die Strecke mit geringen Schäden an der Viaduktstrecke und den Dammschüttungen, nur das nördliche Widerlager der Spreebrücke bei Wernerwerk wurde bei einer Sprengung zerstört. Sowjetische Pioniere bauten kurz nach Kriegsende eine hölzerne Behelfsbrücke. Diese diente jedoch nicht der Wiederaufnahme des S-Bahnverkehres, sondern einer Verbindung der Siemens-Güterbahn mit dem restlichen Berliner Eisenbahnnetz, da auch diese Güterbahn ihre Verbindungsbrücken eingebüßt hatte. Um nun das Gleisnetz der Güterbahn zu erreichen, wurde nahe des Bahnhofes Gartenfeld ein neues Verbindungsgleis verlegt. Der Aufwand war groß, der Nutzen noch größer: zahlreiche Maschinen und technische Ausrüstungen verschwanden so als Reparationsleistungen gen Osten. Letztendlich mußten auch das zweite Streckengleis (Fahrtrichtung Gartenfeld) von Jungfernheide bis Siemensstadt, zwei Abstellgleise des Abstellbahnhofes zwischen Siemensstadt und Gartenfeld sowie das westliche Bahnsteiggleis von Gartenfeld ihre Reise in die damalige Sowjetunion antreten. Mit dem Eintreffen britischer Truppen endete zumindest hier im Juli 1945 die Demontage von Gleisanlagen.

Der erste S-Bahnverkehr wurde Mitte September 1945 mittels eines Pendelzuges zwischen Jungfernheide, Bahnsteig B und Gartenfeld, wieder aufgenommen. Zu Zeiten des Berufsverkehres verkehrte dieser Zug im 20-Minuten-Takt, ansonsten stündlich. Da die Siemenswerke im Laufe der Jahre 1945/46 wieder ihre Produktion steigerten, mußte ab dem 8. Februar 1946 ein zweiter Pendelzug (mit Umsteigen in Siemensstadt) eingesetzt werden. Bis weit in das Jahr 1946 hinein kam es jedoch auch hier (z.B. wegen Strommangels) zu wochenlangen Betriebseinstellungen.
Da die hölzerne Notbrücke mittlerweile baufällig war und sowieso aufgrund ihrer Eingleisigkeit nur einen 20-Minuten-Takt zuließ, bot im Jahre 1953 Siemens der DR den erforderlichen Stahl für einen Neubau an. Im Sommer 1954 waren diese Bauarbeiten beendet, die DR führte nun einen 15-Minuten-Takt ein - immer noch ein Pendelbetrieb mit Umsteigen in Siemensstadt!
Ende 1955 begann die DR mit dem Wiederaufbau des zweiten Streckengleises, der mit der Aufnahme des zweigleisigen Betriebes am 2. Dezember 1956 seinen Abschluß fand. Damit ging auch der letzte (nachkriegsbedingte) Pendelbetrieb zu Ende. Am folgenden Tag nahm die DR den durchgehenden Verkehr von der Siemensbahn zum Nordring wieder auf.

Der Bau der Berliner Mauer hatte auf die Siemensbahn nur geringe Auswirkungen, zumindest was den Fahrplan betraf. Der nachfolgend einsetzende S-Bahnboykott ließ jedoch auch hier rapide die Fahrgastzahlen sinken. Trotzdem fuhr die S-Bahn bis Mitte der 1960er Jahre weiterhin im 10-Minuten-Takt mit Vollzügen, die sie dann auf Halb- und sonntags auf Viertelzüge reduzierte. Ab 2. August 1976 führte sie außerhalb des Berufsverkehres den 20-Minuten-Takt ein. Die Fahrgastzahlen sanken von einst 17.000 Pendlern auf ca. 4.500 (im Jahre 1972) bzw. auf 2.000 (Oktober 1976) werktägliche Reisende.
Und die neue Konkurrenz nahte: die U-Bahnlinie 7 sollte zum 1. Oktober 1980 ihren Betrieb zwischen Richard-Wagner-Platz und Rohrdamm neu aufnehmen. Das hätte wahrscheinlich der Siemensbahn noch mehr Reisende gekostet. Dazu kam es jedoch nicht mehr: Mit dem Streik der DR-Angestellten im September 1980 wurde der Verkehr auf der Siemensbahn eingestellt und nach Streikende nicht wieder aufgenommen. Die Anlagen verfielen, die Natur holte sich ihr Terrain zurück, der Vandalismus tat ein übriges. Ade, du einstiges Schmuckstück der Reichsbahn.

Immer wieder ein Thema: Die Verlängerung der Strecke

Vorschläge zur Verlängerung der Siemensbahn gab es bereits seit ihrer Eröffnung. Eine Realisierung liegt aus heutiger Sicht allerdings in weiter Ferne, da in dem Einzugsbereich der Strecke sich derzeit kein nennenswertes Verkehrsaufkommen befindet. Im Folgenden beschreiben wir vier Verlängerungsvarianten sowie eine in der Nähe zum Bahnhof Gartenfeld gelegene Planung zur Umgestaltung Berlins, die seit dem Bau der Strecke bis zum aktuellen Flächennutzungsplan erstellt worden sind.
Die Trassenführungen haben wir in den Bildschirmabzug einer OpenStreetMap-Karte eingetragen. Die bestehende Trasse und die Bahnhöfe der Siemensbahn sind darin dunkelgrün dargestellt.

geplante Verlängerungsvarianten

Lizenz- und Urheberschaftshinweis: © OpenStreetMap

Bereits bei der Eröffnung der Strecke 1929 wurde optional eine Streckenverlängerung in Richtung Hakenfelde berücksichtigt. Zur Überbrückung der Gartenfelder Straße und des Saatwinkler Damms hätte der Bahnsteig des S-Bahnhofes Gartenfeld hochgelegt werden müssen. Das Empfangsgebäude wurde daher seitlich der Strecke gebaut, um für die Weiterführung Platz zu haben. Die Trasse sollte am S-Bahnhof Gartenfeld beginnend in einer Linkskurve zum Nordufer des Berlin-Spandauer Schiffahrtskanals geführt werden. Dort wäre der Kanal ein zweites Mal zu überqueren. Die Überquerung der Havel nach Hakenfelde wäre dann mit zwei Brücken unter Nutzung der Insel "Großer Wall" möglich gewesen, deren Spannweite zusammen bei ca. 300 Metern gelegen hätte. Weitere Details, die Linienführung in Hakenfelde sowie der Endpunkt der Strecke sind nicht bekannt. Wahrscheinlich sind zur Verlängerung niemals konkrete Planungen gemacht worden, da keinerlei Unterlagen darüber bekannt sind, abgesehen von einer Skizze, die anlässlich der Eröffnung in mehreren Fachartikeln erschien. In der Karte ist diese Strecke mit der Farbe Schwarz eingezeichnet worden.

Die Mitte der 1930er Jahre begonnene Planung zur Umgestaltung Berlins sah umfangreiche Änderungen am Berliner Eisenbahnnetz vor [4]. Eine Verlängerung der Siemensbahn war nicht geplant. Der neu zu bauende Abschnitt des Güteraußenringes (GAR) vom Güterbahnhof Ruhleben nach Tegel sollte die Siemensbahn in Gartenfeld niveaufrei kreuzen. Die Strecke sollte je ein Gleispaar für den Güterverkehr und die S-Bahn erhalten. Konkrete Planungen liegen auch hier nicht vor. Für den Kreuzungspunkt mit der Siemensbahn gab es zwei Varianten. Zum einen direkt am Bahnhof Gartenfeld, sofern der GAR nach Norden entlang der Bernauer Straße geführt worden wäre. Zum anderen weiter östlich zwischen den Bahnhöfen Gartenfeld und Siemensstadt, wenn der GAR Richtung Nordosten über das Gelände des heutigen Flughafen Tegel geführt worden wäre. In der Karte sind diese beiden Trassen mit der Farbe Braun eingezeichnet worden.

Im Jahre 1964 wurde eine Analyse für ein "Künftiges Berliner Schnellbahnnetz" [5] von Ewald Graßmann fertig gestellt, der Professor am Institut für Eisenbahnwesen der TU Berlin war. Der Auftrag wurde von der Verwaltung des ehemaligen Reichsbahnvermögens (VdeR) unter Zustimmung des Senators für Bau- und Wohnungswesen gegeben. In diesem Konzept gab es den Vorschlag, die Siemensbahn von Gartenfeld bis nach Haselhorst zu verlängern. Der erste Teil der Trassenführung ist identisch mit den Planungen aus dem Jahr 1929. Nach der zweiten Überquerung des Alten Berlin-Spandauer Schiffahrtskanals sollte die Trasse dann in einer Linkskurve nach Süden zu seinem Endpunkt S-Bahnhof Haselhorst geführt werden. Zu dem geplanten 170 Meter langen Mittelbahnsteig sollte auch ein Abstellbahnhof mit vier Gleisen entstehen, der aber zur Strecke ungünstig gelegen hätte: nördlich vom Bahnhof und seitlich zu beiden Streckengleisen! Diese Variante wurde vom Senat nicht aufgegriffen und damit auch im Flächennutzungsplan 1965 nicht berücksichtigt [6]. In der Karte wird diese Trasse in der Farbe Blau dargestellt.

1980 wurde der S-Bahnbetrieb auf der Siemensbahn eingestellt. 1984 übernahm die BVG den Betrieb der S-Bahn in Westberlin und begann mit den Planungen für die Wiederinbetriebnahme der wichtigen S-Bahnstrecken. Dabei verzichtete man auf die Strecke Jungfernheide—Gartenfeld [7]. Allerdings gab es immer wieder Forderungen zur Wiedereröffnung, beispielsweise einer Anbindung des Flughafen Tegels über die zu verlängerte Siemensbahn. Die Neubaustrecke sollte am S-Bahnhof Gartenfeld beginnen und entlang der Gartenfelder Straße geführt werden, den Berlin-Spandauer Schiffahrtskanal überqueren, um dann nach Osten zu schwenken. Auf einer Trasse zwischen dem Flugfeld und den Kleingartenanlagen würde sie den Flughafen Tegel erreichen können [8]. In der Karte ist diese Streckenführung in der Farbe Rot eingetragen worden.

Nach der Wende wurde der Flächennutzungsplan (FNP) überarbeitet. Im Bereich der Rauchstraße, Daumstraße und Hugo-Cassierer-Straße entstanden die ersten Wohnungsneubauten der sogenannten Wasserstadt. Diese soll später einen S-Bahn-Anschluss erhalten, der von Gartenfeld über die Rhenaniastraße zur Streitstraße in Hakenfelde führt. Abweichend zu den Planungen von 1929 würde man den Bahnhof Gartenfeld zur Kreuzung Saatwinkler Damm / Gartenfelder Straße verlegen. Von dort geht es diesmal am Südufer des alten Berlin-Spandauer Schiffahrtskanals und entlang der Rhenaniastraße weiter zur Daumstraße, wo ein Bahnhof vorgesehen ist. Anschließend muss die Havel und unmittelbar westlich die Maselake unterfahren werden [9, 10], um den Endbahnhof im Ortsteil Hakenfelde zu erreichen. In der Karte wird diese Trasse in der Farbe Hellgrün dargestellt. Diese Planung ist im aktuellen FNP 2013 [11] nach wie vor enthalten, seine Realisierung innerhalb der nächsten drei Jahrzehnte aber eher aussichtslos.

Epilog

In einer Finanzierungsvereinbarung zwischen dem Bund und den Bundesländern Berlin und Brandenburg [2] verpflichtete (?) sich der Bund, die Grunderneuerung des S-Bahnnetzes auf die betriebsfähige Wiederherstellung mit dem Stand vom 12. August 1961. Dazu zählt nach Ansicht des Bundesverkehrsministeriums jedoch nicht die Strecke von Jungfernheide nach Gartenfeld. Dabei beruft es sich auf im Jahre 1991 stattgefundene Verhandlungen zwischen dem Berliner Senat, der Deutschen Reichsbahn und dem Verkehrsministerium.
Zurzeit gibt es für die inzwischen unter Denkmalschutz gestellte Strecke, auch wegen des Arbeitsplatzabbaues bei Siemens, keinen Bedarf. Trotzdem gibt es immer noch Ideen für eine Wiedereröffnung, mit gleichzeitiger Verlängerung von Gartenfeld zur Wasserstadt an der Oberhavel.

ungenutzte Trasse

Der Bahnhof Siemensstadt inmitten des gleichnamigen Gebietes (31. Mai 2005).

Im Dezember 2007 schreckte eine Meldung den Berliner Senat, Eisenbahnenthusiasten und Verkehrsverbände auf: die Deutsche Bahn AG (als Rechtsnachfolger der DR) stellte einen Antrag auf Entwidmung der Strecke. Als Grund gab man u.a. die jährlich anfallenden Kosten (ca. 15.000 € für das Jahr 2007 [3]) zur Verkehrssicherung an. Auch Siemens hegt kein großes Interesse mehr an der Bahnstrecke: schon nach der Einstellung des S-Bahnverkehres im Herbst 1980 setzte sich der Konzern für eine Entwidmung und Rückübertragung der Bahntrasse ein, um so seine Betriebsflächen erweitern zu können. Beide Firmen, DB AG und Siemens, planen schon für die Zeit danach. Den derzeitig vorhandenen Denkmalschutz brauchen beide wahrscheinlich nicht zu beachten. Denn ist die Strecke mit ihren markanten Brückenkonstruktionen und Bahnhöfe erst einmal aus der eisenbahnrechtlichen Bestimmung entlassen, kann (muß jedoch nicht) der Denkmalschutz entfallen.
Der Berliner Senat wehrt sich nun dagegen und hat beim Eisenbahn-Bundesamt eine entsprechende Stellungnahme vorgelegt. Dabei beruft sich der Senat auf den aktuellen Stadtentwicklungsplan Verkehr: In diesem ist die Strecke als freizuhaltende S-Bahntrasse eingetragen. Man darf gespannt bleiben.

Einen aktuellen Rundgang aus dem März 2015 über die Siemensbahn finden Sie hier.


Zur Siemensbahn gehören die folgenden Bahnhöfe:

Jungfernheide Wernerwerk Siemensstadt Gartenfeld

weitere themenbezogenen Seiten auf Stadtschnellbahn-Berlin.de:

Vom Bau der Siemensbahn
Die Abstellanlage in Gartenfeld
Ein Spaziergang an der Siemensbahn


Autoren:
Detlef Hoge, Mike Straschewski, Norbert Heintze, Thomas Krickstadt

Quellen:
[1] Der Bau der Zweigbahn Jungfernheide-Siemensstadt - Gartenfeld; aus: Siemens Jahrbuch 1930; Dipl.-Ing. A. Prölss, Bauabteilung des Siemenskonzerns
[2] Wiederherstellung der Berliner S-Bahn - eine Schimäre; Jürgen Klussmann; Berliner Verkehrsblätter; Heft 9/2003
[3] Senat will auf "Siemensbahn" nicht verzichten; Berliner Morgenpost vom 19. Juli 2008
[4] Bernd Kuhlmann: Eisenbahn-Größenwahn in Berlin. Verlag GVE. 1996, Seite 24-25
[5] Ewald Graßmann: Künftiges Berliner Schnellbahnnetz. Plan 8/10. Berlin, 1963
[6] Senator für Bau- und Wohnungswesen [Hrsg.]: Flächennutzungsplan von Berlin für die Bezirke II = Tiergarten, III = Wedding, VI = Kreuzberg, VII = Charlottenburg, VIII = Spandau, IX = Wilmersdorf, X = Zehlendorf, XI = Schöneberg, XII = Steglitz, XIII = Tempelhof, XIV = Neukölln, XX = Reinickendorf. Berlin, 1971.
[7] Senator für Stadtentwicklung u. Umweltschutz, Presse u. Öffentlichkeitsarbeit [Hrsg.]: Flächennutzungsplan von Berlin 1984. Berlin, 1988.
[8] Bernd Kuhlmann: Eine S-Bahn zum Flughafen Tegel? In: Verkehrsgeschichtliche Blätter, Heft 1/2013, S. 20-11.
[9] Bezirksamt Spandau von Berlin [Hrsg.]: Bebauungsplan VIII - 548v vom 17.01.1995 (Gelände südlich Hugo - Cassirer - Straße ( Havelspitze ) / Wasserstadt (Webseite nicht mehr abrufbar)
[10] Bezirksamt Spandau von Berlin [Hrsg.]: Bebauungsplan VIII - 567c vom 01.10.1998 (Wasserstadt) (Webseite nicht mehr abrufbar)
[11] Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt [Hrsg.]: Flächennutzungsplan von Berlin in der Fassung der Neubekanntmachung vom 12. November 2009 (ABl. S. 2666), zuletzt geändert am 07. März 2013 (ABl. S. 432).

weitere Quellen und Buchtipps:
Berlins S-Bahnhöfe; Jürgen Meyer-Kronthaler/Wolfgang Kramer, be.bra Verlag, 1998
Der Bau der Zweigbahn Jungfernheide-Siemensstadt - Gartenfeld; aus: Siemens Jahrbuch 1930; Dipl.-Ing. A. Prölss, Bauabteilung des Siemenskonzerns
Die neue Berliner Vorortstrecke von Jungfernheide nach Gartenfeld; Zeitung des Vereins Deutscher Eisenbahnverwaltungen; Nr.49 vom 5. Dezember 1929
Der neue Berliner Reichsbahn-Betrieb Jungfernheide-Siemenstadt-Gartenfeld; D. Busse; Elektrische Bahnen
Die neue Siemensbahn (Bhf. Jungfernheide-Gartenfeld) in Berlin; Fr. Herbst; Verkehrstechnik; Heft 10 vom 7. März 1930
Der Bau der neuen Berliner Vorortstrecke von Jungfernheide nach Gartenfeld; J. Kuhnke, Die Reichsbahn; Heft 12 vom 19. März 1930
50 Jahre Siemensbahn Jungfernheide - Gartenfeld; Peter Bley; Berliner Verkehrsblätter; Heft 11/1979

weiterführende Links:
www.siemens-stadt.de (Webseite nicht mehr abrufbar)
Umfangreiche Bildergalerie von 2004 bis 2012

letzte Änderung:
24. September 2017

Veröffentlichung:
26. Oktober 2008

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