Um einen schnellen An- und Abtransport der Arbeiter und Angestellten der Siemensstadt gewährleisten zu können, setzte die Deutsche Reichsbahn (DR) zu den Zeiten des Schichtwechsels (heute sagt man Berufsverkehr) zusätzliche Züge zwischen Weissensee (heute Greifswalder Straße) und Gartenfeld ein. Dazu errichtete sie zwischen den S-Bahnhöfen Siemensstadt und Gartenfeld eine sechsgleisige Abstellanlage. In ihr wurden nach Ablauf des morgendlichen Verkehres die Züge abgestellt, um bei der nachmittäglichen Rückfahrt die Fahrten in kurzer Reihenfolge wieder aufnehmen zu können. Die Züge fuhren teilweise aus der Abstellanlage ab und nahmen erst am S-Bahnhof Siemensstadt die ersten Fahrgäste auf.
Die Anlage konnte zwölf Vollzüge aufnehmen, bei einer angenommenen Höchstbesetzung von 1.200 Personen rechneten Siemens und die DR mit einer zusätzlichen Beförderung zum normalen Fahrplan von 14.000 Fahrgästen.
Stellwerk Gtf.
Die Regelung der Fahrten erfolgten durch das Reiterstellwerk Gtf, ein elektromechanisches Stellwerk der Bauart Siemens & Halske, 1912. Dieses arbeitete im Regelbetrieb im vollselbsttätigen Betrieb, während des Berufsverkehres wurde es in den halbselbsttätigen Betrieb geschaltet. Die Signalanlagen der gesamten Siemensbahn waren für eine 150-sekündige Zugfolge ausgelegt, im Regelfall fuhr man zu den Schichtwechselzeiten jedoch alle fünf Minuten.
Als weitere Besonderheit soll das Einfahrsignal E ½ genannt sein: Mit seinen 10 Signallaternen war es einzigartig im Bereich der Berliner S-Bahn. Das Signal wurde in den 1980er Jahren in der östlichen Einfahrt des S-Bahnhofes Friedrichstraße neu aufgestellt.
Die Signale 2-7, 2I bis 7I sowie III und IV sind Rangiersignale.
Bei Zugausfahrten aus der Abstellanlage in Richtung Jungfernheide wurde neben dem betreffenden Rangiersignal das dazugehörige Ausfahrsignal "F" oder "G" bedient.
Während des zweiten Weltkrieges wurde wegen Fahrzeug-, Personal- und Strommangels der Verkehr zeitweise eingeschränkt, man fuhr tagsüber einen Zehn-Minutentakt, teilweise auch nur noch alle 20 Minuten. Zu den Zeiten des Schichtwechsels setzte man zusätzliche Züge (Papestraße—Treptower Park—Gartenfeld) ein, diese konnten jedoch ohne verherige Ankündigung ausfallen bzw. geändert werden.
Nach dem Ende des Krieges nahm man (mit Unterbrechungen) den Verkehr nach und nach wieder auf. Jedoch konnten die Fahrgastzahlen der Siemensbahn nie wieder an ihre Vorkriegswerte erreichen. Die gerade in Westberlin zunehmende Eigenmotorisierung mit Autos und Zweirädern drückten bei der Siemensbahn immer mehr die Fahrgastzahlen nach unten. Spätestens nach dem Bau der Berliner Mauer am 13. August 1961 und dem damit verbundenen S-Bahnboykott sanken diese Zahlen rapide.
Zugausfahrten aus der Abstellanlage in Richtung Jungfernheide sind nicht mehr möglich.
Die DR baute dem zurückgehendem Fahrgastaufkommen entsprechend die (überflüssigen) Gleisanlagen zurück; Signale, Gleise und weitere Technik wurden aus- und anderswo im Netz eingebaut. Nach dem Reichsbahnerstreik vom September 1980 wurde der Verkehr nicht wieder aufgenommen - Fragmente der Abstellanlage sind jedoch noch heute vorhanden.
Zugausfahrten aus der Abstellanlage in Richtung Jungfernheide sind nun wieder vom Gleis 4 möglich.
Im derzeit aktuellen Stadtentwicklungsplan Verkehr 2015 ist die Strecke nicht mehr vorgesehen. Sollte sie jedoch (man weiß ja nie) eines Tages wieder aufgebaut werden, wird die ehemalige Abstellanlage Gartenfeld voraussichtlich nicht mit dabei sein - die verkehrlichen Belange haben sich diesbezüglich einfach zu stark verändert.
weitere themenbezogenen Seiten auf Stadtschnellbahn-Berlin.de:
Die Geschichte der Siemensbahn
Vom Bau der Siemensbahn
Ein Spaziergang an der Siemensbahn
Zur Siemensbahn gehören die folgenden Bahnhöfe:
Jungfernheide | Wernerwerk | Siemensstadt | Gartenfeld |
Autoren:
Mike Straschewski, Gordon Charles
Quellen und weiterführende Buchtipps:
Der Bau der Zweigbahn Jungfernheide-Siemensstadt - Gartenfeld; aus: Siemens Jahrbuch 1930; Dipl.-Ing. A. Prölss, Bauabteilung des Siemenskonzerns
Der elektrische Betrieb auf der Berliner S-Bahn: Sicher ist sicher! Band 7: Wie der Betrieb auf der Berliner S-Bahn funktioniert; Manuel Jacob; Verlag Nedddermeyer; 2000
weiterführende Links:
www.stellwerke.de
Chronik der Zuggruppen der Berliner S-Bahn ab 1945
Deutsches Kursbuch - Jahresfahrplan 1944/45
Die ehemalige Abstellanlage bei Google Earth
letzte Änderung:
9. Oktober 2018
Veröffentlichung:
26. Oktober 2008