telegrafisches Kurzzeichen: | BJLB, vormals Kl |
eröffnet am: | 15. Oktober 1881 (als Kolonnenstraße) |
elektrischer Betrieb seit: | 18. April 1929 |
Station geschlossen: | 3. Juli 1944 |
Station wiedereröffnet: | 2. Mai 2008 |
Station liegt an der | Nordsüd-S-Bahn |
Schöneberg (Vorortbahn) | Yorckstraße (Grossgörschenstraße) |
Ein Bahnhof in Berlin sorgte bei uns im Autorenteam regelmäßig für ein Lächeln, ein (kurzes) Erstaunen oder auch nur ein Abwinken: Kolonnenstraße (oder wie er jetzt heißt: Julius-Leber-Brücke). Man sollte es kaum glauben: 64 Jahre nach seiner Schließung entsteht der Bahnhof neu und wurde am 2. Mai 2008 wiedereröffnet. 64 lange Jahre! Wahrscheinlich hat der Haltepunkt in diesem Zeitraum mehr Schreiberlinge (uns einbegriffen) als Bauarbeiter beschäftigt. Aufgrund der politischen Eigenheiten Berlins im Nachkriegsdeutschland und des hier als besonders fähig eingestuften Verkehrssenats ergab sich in den vergangenen Jahrzehnten eine typische Berliner Posse.
Willkommen in einem besonderen tragikkomischen Kapitel der Berliner Verkehrspolitik.
Die Geschichte
Ein Name - ein Begriff. Vom alten S-Bahnhof Kolonnenstraße hat wohl jeder S-Bahninteressierte schon einmal gehört, aber die wenigsten werden ihn gesehen haben (abgesehen von den Ruinen). 63 Jahre lang war er in Betrieb. Angefangen hatte alles am 15. Oktober 1882. Ein einfacher Seitenbahnsteig lud die Züge der Ringbahn in Richtung Potsdamer Ringbahnhof zum Halten ein. Name der Station: Schöneberg. Noch nicht einmal ein Jahrzehnt später, 1891, wurde der Bahnhof umgebaut. Neben einem Empfangsgebäude im neogotischen Stil erhielt er nun auch einen Mittelbahnsteig. Trotzdem verkehrten an ihm nach wie vor nur die Züge der Ringbahn. Die Züge der Wannseebahn hielten am Bahnhof Großgörschenstraße in dessen alter Lage. Um nun ein Umsteigen zu ermöglichen, errichtete man zwischen beiden Bahnsteigen einen Fußgängerweg, den sogenannten "Hammelgang".
Lageplan der Bahnhöfe Großgörschenstraße neu und alt sowie Kolonnenstraße, außerdem eingezeichnet die Lage des "Hammelgangs".
Das Streckenband zeigt den Zustand der Berlin - Potsdam - Magdeburger Eisenbahn (BPME, km 1,75-2,65) zwischen 1940 und 1950.
Hervorhebungen durch die Redaktion.
Die Ende der 1920er Jahre schnell fortschreitende Elektrisierung der Stadt-, Ring- und Vorortbahnen erreichte die Station am 18. April 1929. Mit der bevorstehenden Inbetriebnahme des neuen Umsteigebahnhofes Schöneberg benannte man am 1. Dezember 1932 die Station in Kolonnenstraße um.
Im Zuge des Baues der Nordsüd-S-Bahn sollte die Ringbahn in den S-Bahnhof Potsdamer Platz geführt werden und in diesem Zusammenhang der S-Bahnhof Kolonnenstraße zum Umsteigebahnhof im Richtungsbetrieb von Ring- und Wannseebahn umgebaut werden. Dazu wurde 1936 das Empfangsgebäude abgerissen und der "Hammelgang" nach Großgörschenstraße beseitigt. Gleichzeitig nutzte die Stadt Berlin die Chance, um die Sedanbrücke zu verbreitern. Außerdem sollte der S-Bahnhof Großgörschenstraße an die Yorckstraße verlegt werden. Für die Anbindung der Wannseebahn an die Nordsüd-S-Bahn entstand bis 1939 der "kleine Nordsüd-S-Bahntunnel", auch Wannseebahntunnel genannt.
Die Planungen für die Umgestaltung der Reichshauptstadt, verkündet am 30. Januar 1937, machten den Ausbau für Kolonnenstraße zunichte. Der Bahnhof erhielt ein provisorisches Zugangsgebäude (die Ruine erkennt man gut auf den Nachkriegsbildern) mit einer Holz(!)treppe zum Bahnsteig.
Überblick über den Bahnhof Schöneberg:
Da die Station in einem Einschnitt liegt, erhebt sich das Empfangsgebäude im neogotischen Stil wie eine Festung.
Im Hintergrund rechts fährt ein dampfbetriebener Vorortzug gen Potsdamer Ringbahnhof aus. Er passiert gerade die links von ihm befindliche Gleisüberführung zum "Hammelgang".
1943/44 verstärkten die Alliierten ihre Luftangriffe auf Deutschland. Auch Berlin wurde zunehmend ein Ziel dieses Bombenkrieges. Die Gegend um den Potsdamer Platz wurde bei einem Luftangriff am 24. November 1943 schwer zerstört. In dessen Folge lagerte man Behörden und Geschäftsbüros aus; die Verkehrsnachfrage ließ nach. Bei weiterer Zerstörung der Bahnanlagen (u.a. Kolonnenstraße) stellte die Deutsche Reichsbahn den Betrieb auf der Südringspitzkehre nach dem Potsdamer Ringbahnhof ab dem 3. Juli 1944 ein. Ob zu dem Zeitpunkt tatsächlich noch Züge nach Potsdamer Ringbahnhof fuhren, ist nicht bekannt.
An eine Wiederaufnahme des Betriebes wurde in den nachfolgenden Jahren immer wieder mal nachgedacht, jedoch tat sich außer dem Abbau der Bahnsteigaufbauten diesbezüglich nicht wirklich etwas. Und das, obwohl die Station schon immer ein großes Fahrgastpotential aufwies: liegt sie doch fast genau zwischen den Stationen Schöneberg und Yorckstraße (Großgörschenstraße), im Einzugsgebiet wohnen heute ca. 13.000 Menschen.
Im Mai 1948 schaffte man den Schotter der Südringspitzkehre nach Tegel zum Bau des Flugplatzes. Angeblich sollen die Stützen des (in den 20er Jahren umgebauten) einstieligen Bahnsteigdaches für den S-Bahnhof Plänterwald verwendet worden sein. In der Tat besitzt diese Station einstielige genietete(!) Träger. Das ist jedoch nicht verbürgt!
Seit dem Ende des Zweiten Reichsbahnerstreiks wurde die den Bahnhof tangierende Strecke nur noch sporadisch von Dienstzügen von und zum S-Bahnbetriebswerk Wannsee befahren. Erst ab dem 1. Februar 1985 verkehrten hier wieder regelmäßig S-Bahnzüge.
Blick von der Langenscheidtbrücke in Richtung Süden, im Hintergrund die Julius-Leber-Brücke (1983).
Nach der Übertragung der Betriebsrechte der Westberliner S-Bahn an die BVG begannen erste Überlegungen und Planungen für einen Wiederaufbau der Station. Ein Architektenwettbewerb wurde 1987 ausgeschrieben, ein Planfeststellungsverfahren eingeleitet. Auch eine nicht ganz uninteressante Planung wurde angedacht. Wolfgang Kramer schreibt dazu in den Berliner Verkehrsblättern, Heft 1/2007:
Man stellte Überlegungen an, die Strecke Papestraße - Yorckstraße - Anhalter Bahnhof stillzulegen, die Strecke aus Lichtenrade / Lichterfelde Süd zu verschwenken und neben der Ringbahn zur Wannseebahn zu führen sowie mit ihr am Bahnhof Kolonnenstraße zu vereinigen. Hierfür sollte dieser Bahnhof viergleisig mit zwei Mittelbahnsteigen neu errichtet werden. Später sollte eine Verbindung zum U-Bahnhof Gleisdreieck geschaffen werden.
Grafik über die angedachte Streckenverlegung der S-Bahn zwischen Papestraße und Kolonnenstraße aus dem Jahre 1987.
Der Fall der Berliner Mauer und die danach geplante und am 1. Januar 1994 durchgeführte Rückgabe der S-Bahn an die Deutsche Bahn AG ließen diese Überlegung aufgrund des Betreiberwechsels wieder in der Versenkung verschwinden. Danach tauchte noch mindestens zweimal das Gespenst von der Wiedereröffnung auf. Aber wie die Berliner Verkehrspolitik so ist, wurde diesem Ansehen so schnell wie möglich der Garaus gemacht.
Gegenwart und Zukunft
2006 kochte dann die ganze Sache wieder hoch und - wer hätte es gedacht - es sollte doch wirklich vorwärts gehen! Am 15. November 2006 gab es den offiziellen Spatenstich und dann - tat sich nichts mehr. Erst 2007 gingen die Bauarbeiten langsam und schleppend weiter. Als Eröffnungstermin gab man bald den 30. April 2008 an, es wurde dann doch erst der 2. Mai. Angesichts dieser Terminüberschreitung von nur drei Tagen wollen wir nicht weiter meckern und uns am 166. Bahnhof der Berliner S-Bahn, genannt "Julius-Leber-Brücke", erfreuen. Die Station wurde gegenüber ihrer alten Lage etwas nach Süden verschoben, so daß sie von der namensgebenden Brücke von beiden Straßenseiten aus via Treppe und Aufzug erreichbar ist. Zwei Seitenbahnsteige erschließen nun das nicht unerhebliche Fahrgastpotential der Gegend. Eine teilweise Überdachung schützt vor den Unbilden des Klimawandels und des Wetters. Die Kosten für das Projekt wurden mit 6,4 Millionen Euro veranschlagt. Die Abfertigung der Züge erfolgt im ZAT-Verfahren. Vorerst gingen nur die beiden südlichen Zugänge von der Julius-Leber-Brücke in Betrieb. Am 19. Dezember 2008 wurden die beiden nördlichen Zugänge eröffnet. Damit wurde die Station endgültig fertiggestellt.
Ursprünglich war die Verwendung des Doppelnamens "Julius-Leber-Brücke (Kolonnenstraße)" für die Station angedacht. Warum auch immer, man entschied sich letztendlich für die einfache Namensvariante ohne den Zusatz.
Auch die (irgendwann einmal) zu bauende S21 (Planungsname) ist schon bedacht worden: ein vom Südring kommendes Gleis würde später den östlichen Bahnsteig zum Inselbahnsteig machen. Insofern hätte - zumindest langfristig - die jetzige Anlage nur eines Inselbahnsteiges keine Vorteile gebracht. Ein Gleis der Stammbahn soll erhalten bleiben, das (ehemals) zweite Gleis wird weiterhin berücksichtigt.
Schöneberg (Vorortbahn) | Yorckstraße (Grossgörschenstraße) |
Einen umfangreichen Bilderbogen über die Entstehung der Station finden Sie hier.
Autoren:
Mathias Hiller; Manuel Jacob, Mike Straschewski
Quellen und weiterführende Buchtipps:
Berlins S-Bahnhöfe; Jürgen Meyer-Kronthaler/Wolfgang Kramer, be.bra Verlag, 1998
weiterführende Links:
Der Bahnhof bei Google Maps
letzte Änderung des Textes: 10. Dezember 2007