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Massen über Massen strömten immer noch über die Grenzen. Ganz Berlin war in Feierlaune. Wildfremde Menschen umarmten sich, Menschen, die sich jahrelang nicht gesehen hatten, lagen sich tränenüberströmt in den Armen.
Und die S-Bahn?
Die funktionierte wie ein Uhrwerk, zwar mit Stockungen, aber sie bewegte sich. Da nun das Wochenende begann, fielen mit den Fernbahnzügen Heerscharen von Menschen aus der ganzen DDR in Berlin ein. Wer glaubte, das Schlimmste sei überstanden, musste sich eines besseren belehren lassen. S-Bahn-Sonderzüge verkehrten auf der Schönefelder Schiene, damit die am Fernbahnhof Berlin-Schönefeld eintreffenden und abreisenden Fahrgäste transportiert werden konnten.
Fahrgastandrang auf dem Bahnhof Wannsee am 11. November 1989.
Die Züge der S1 fuhren Wannsee - Gesundbrunnen Gleis 4 - Wannsee mit 11 anstatt 9 Umläufen (Halbzüge).
Die S-Bahnlinie 2 fuhr mit folgenden Halbzügen der BR 275:
Die S-Bahnlinie 3 (Friedrichstraße - Wannsee) fuhr mit folgenden Vollzügen der BR 275:
Die zusätzlich verkehrenden drei Halbzüge zwischen Charlottenburg und Lehrter Stadtbahnhof hatten folgende Viertelzugnummern:
275 387 + 391, 275 377 + 343 sowie 275 429 + 719.
Umlauf Cobra 5 mit den Viertelzügen 275 461/462 (DR) und 275 289/290 (BVG) in Berlin-Wannsee am 11. November 1989.
Ein Sonderfahrplan bei der West-S-Bahn trat nun in Kraft. Der 10-Minutentakt blieb erhalten, jedoch verlängerte man diesen bis in späte Nacht. Im Ostteil wurde nach dem Fahrplan der Hauptverkehrszeit (6-8 Uhr und 15-18 Uhr) in dieser Nacht gefahren.
Der Tagesspiegel über das starke Verkehrsaufkommen im Nahverkehr sowie über zusätzliche Busse aus Westdeutschland.
Die nächsten Tage:
Es schien, ganz Berlin war unentwegt auf den Beinen. Massen von Menschen bewegten sich zwischen beiden Stadthälften. Die S-Bahn, die BVB im Ostteil und die BVG im Westteil arbeiteten in Höchstform - alles was fahren kann, fährt auch. Hier ein Auszug aus dem Dienstbuch des Oberdispatchers S-Bahn Ost.
Auch sonst waren Erleichterungen zwischen beiden Betrieben in einem Tempo möglich, über die es sich vorher nicht einmal nachzudenken lohnte. Dr. Matthaeus erinnert sich an eine Lagebesprechung beim Reichsbahn-Präsidenten am 16. November:
"Es ging um die Signalschaltung zwischen Lehrter Bahnhof und Friedrichstraße. Seit 1984 konnte die BVG erst dann einen Zug nach Friedrichstraße ablassen, wenn der vorherige Zug dort schon wieder abgefahren war. Damit sollte verhindert werden, dass sich S-Bahnen im Grenzgebiet vor dem Bahnhof aufstauten. Zusätzliche Züge, wie sie von der BVG gefordert wurden, waren dadurch unmöglich. Das Problem wurde angesprochen, und der anwesende Grenzkommandant stimmte ohne Umschweife zu: 'Baut das Ding doch aus.'" [2]
Der durchgehende Nachtverkehr wurde auch noch vom Sonntag, dem 12.11. auf Montag, dem 13.11.1989 analog den vorherigen Nächten durchgeführt.
Während am Bahnsteig B, Gleis 3 des Bahnhofes Friedrichstraße ein Zug der BR 275 zur Abfahrt nach Wannsee bereit steht, ist im Hintergrund eine Überführungsfahrt zum Austausch von DR-Fahrzeugen eingetroffen (Frühjahr 1990).
Die an die BVG zur Verstärkung übergebenen Wagenzüge wurden alle 14 Tage über Friedrichstraße ausgetauscht.
Im Bild eine Überführung von Wannsee nach Friedrichsfelde über Bahnsteig A, Gleis 2 des Bahnhofes Friedrichstraße.
Auf dem Bahnsteig ist die weiße Kontrollinie gut zu erkennen, die von Transitreisenden nur auf Aufforderung übertreten werden durfte (Frühjahr 1990).
Die Personalsituation war aufgrund von Abgängen und angelaufenen Überstunden sehr angespannt, obwohl viele Mitarbeiter zusätzlich Dienste übernahmen. In den folgenden Tagen und Wochen entspannte sich die verkehrliche Situation nach und nach - auch wegen immer wieder neu eingelegter Zusatzfahrten - und pegelte sich auf ein erträgliches Maß ein. Erst mit dem neuen Jahr 1990 konnte man von einer Normalisierung des Verkehrs reden, auch wenn sich jetzt ganz andere Verkehrswege von Ost nach West, von Nord nach Süd, auftaten.
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Autor:
Mike Straschewski
Quellen:
[1] Dienstbuch der Oberdispatcherleitung Ost
[2] Texte von Manuel Jacob
[3] Dienstbuch der Oberdispatcherleitung Ost
[4] ebenda
Tonprotokolle von Dieter Müller und Wolfgang Genß
Gedächtnisprotokolle mehrerer S-Bahner
weitere Quellen und Buchtipps:
Der elektrische Zugbetrieb bei der Berliner S-Bahn, Band 6: Das Netz wächst zusammen; Manuel Jacob; Verlag Bernd Neddermeyer; 2004
Danksagung:
Die Fahrplananordnungen und die Auflistung der Viertelzugnummern wurden uns freundlicherweise von Matthias Arndt bereitgestellt.
letzte Änderung:
9. November 2009
Veröffentlichung:
26. Oktober 2008