Friedrich Kittlaus - Vom Lokheizer zum Vizepräsidenten

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Furchtlos

Kittlaus war völlig unerschrocken, was ihm ja bereits zu Kriegszeiten zugute kam. Alfred Pohl erzählt von einem Zwischenfall nach dem Mauerbau, der sich an der Sektorengrenze ereignete, als Kittlaus auf einer Fahrt zu seiner Wohnung in West-Berlin war. Üblicherweise durfte er mit Dienstauto und Chauffeur unkontrolliert die Grenze passieren. Eines Tages verlangten die "Organe", dass der Fahrer aussteigen sollte, was der Chef strikt ablehnte. Er pochte auf sein Recht und wies den Fahrer an, weiterzufahren, obwohl der Vopo drohte, schießen zu wollen. Am nächsten Tag erschien der Vizepräsident nicht im Büro, weil der Fahrer bei der Rückfahrt verhaftet worden war. Er bestand darauf, dass genau dieser Fahrer ihn fahren solle, vorher würde er nicht zum Dienst kommen. Daraufhin kam nicht nur der Fahrer frei, sondern Kittlaus' Wagen erhielt nun eine Kennzeichnung, womit er ungehindert durch die Grenze fahren konnte.

Es ist schon ungewöhnlich, dass einem West-Berliner ohne Parteibuch die Leitung der verkehrlich und politisch so wichtigen S-Bahn anvertraut wurde, noch dazu weit über das Erreichen des Rentenalters hinaus, zumal eine solche Sonderstellung intern für Konfliktstoff sorgt. Man darf dabei aber nicht vergessen, dass zu jener Zeit beide politische Lager ein Interesse an fortdauernden Kontakten hatten. Für den Westen gehörte auch die S-Bahn zu den Klammern, die beide Teile Deutschlands zusammenhielten. Die DDR hatte mit der S-Bahn einen Außenposten in West-Berlin, von dem aus sie vielfältig operieren konnte. So machte sie verschiedene Rechtspositionen geltend (z.B. Gebietsansprüche) oder schleuste Personen nach West-Berlin ein, die sich dem Ausforschen der hiesigen Lebensverhältnisse stärker widmeten als der S-Bahn. Bei alledem war ein Leiter, der nicht nur hervorragender Eisenbahner war, sondern auch über weit reichende Kontakte verfügte, so nützlich, dass parteipolitische Vorbehalte zurückstehen mussten.

Der Diplomat

In den Akten von Kittlaus findet sich eine Einschätzung aus dem Jahr 1967, dass er an seinem Platz unverzichtbar sei. Hier wird sein Engagement bei der Durchführung der Passierschein-Abkommen erwähnt, was ein schriftlicher Beleg dafür sein kann, dass er auch auf diplomatischen Pfaden wandelte. Man muss sich vor Augen halten, dass es in den Zeiten nach dem Mauerbau viele Verbindungen zwischen den beiden deutschen Staaten und auch beiden Teilen Berlins gab, die stets unterhalb der offiziellen Ebene abliefen, weil es damals noch keine vertraglichen Beziehungen gab. Wenn auch der "Diplomat" in seiner Umgebung nicht darüber sprach, lässt der Umfang seiner Kontakte darauf schließen, dass er auch hier "Wanderer zwischen den Welten" war. Darüber hinaus war ein parteiloser Reichsbahn-Vizepräsident mit Wohnsitz in West-Berlin ein Aushängeschild, mit dem die DDR ihre Souveränität unter Beweis stellen wollte.

Bild: Besprechung 1959

Besprechung im zerstörten Anhalter Bahnhof zur Vorbereitung des Abrisses im Jahr 1959 mit Vertretern des Bezirks Kreuzberg,
der Verwaltung des ehemaligen Reichsbahnvermögens (VdeR) und Friedrich Kittlaus (2.v.l.) als Vertreter der Deutschen Reichsbahn.

In der Reichsbahndirektion war diese Situation in gewisser Weise delikat. Mitarbeiter anderer Verwaltungen blickten mitunter etwas neidisch auf die Kollegen von der S-Bahn. Kittlaus machte aus seinem Wohnort kein Geheimnis. Er transportierte für seine Mitarbeiter gelegentlich Päckchen und bot auch gerne mal West-Zigaretten an, was nicht überall Freude machte.

Intern waren seinem Wirken und seinen Informationen dort Grenzen gesetzt, wo Partei- und Staatsinterna berührt wurden. So wurde er vom Mauerbau am 13. August 1961 genauso überrascht wie (fast) alle anderen Deutschen. Bestimmte Sonderaufträge, die von Partei oder Regierung an die S-Bahn gingen, wurden von vornherein eine Hierarchieebene unter Kittlaus platziert, wo das nötige Klassenbewusstsein vorhanden war. Er erfuhr dann erst im Zuge der laufenden Arbeiten von diesen Dingen. Die Betroffenen haben sich in diese Situation gefügt und offene Konflikte vermieden.
Zeitweise hatte die SED mit dem selbstbewussten Macher Probleme. Wegen seiner "abwartenden politischen Haltung" wollte die ihn 1960 wegversetzen lassen. Dies scheiterte am Widerstand des Verkehrsministers Kramer, der mit dem Bedrängten auch privat bekannt war und seine Fähigkeiten schätzte.

Insgesamt jedoch ist Friedrich Kittlaus unumstritten: Noch im Jahre 1987 hat die Kommission für Betriebsgeschichte der Reichsbahndirektion Berlin in einer betriebsgeschichtlichen Darstellung über ihn notiert: "Es kann hier betont werden, dass der Leiter der S-Bahn Friedrich Kittlaus, vor 1945 Betriebskontrolleur, nun parteilos und wohnhaft in Westberlin, bei allen Störversuchen, ob durch UGO oder hier (Anmerkung des Verfassers: Gemeint waren die Folgen des Aufstandes vom 17. Juni 1953), alles zur Aufrechterhaltung des S-Bahnbetriebes unternahm."

Ein Blick in das aktuelle Telefonbuch von Berlin verrät, dass der Name Kittlaus hier zu Lande selten ist; nur acht Einträge sind dort zu finden. Dies könnte ein Grund dafür sein, dass einige Reichsbahner der Meinung sind, Friedrich Kittlaus und der leitende West-Berliner Polizeibeamte Manfred Kittlaus seien miteinander verwandt. Die Kontakte des S-Bahnchefs zu West-Berliner Stellen waren ja auch enorm. Er soll wegen der vermuteten Verwandtschaft sogar Schwierigkeiten gehabt haben. Seiner Tochter ist über eine solche Verwandtschaft nichts bekannt. Kittlaus hatte weder Brüder noch Söhne, die diesen Namen hätten weiter reichen können. Manfred Kittlaus, Polizeidirektor im Ruhestand, ist diese Frage schon mehrfach gestellt worden. Er sagt ebenfalls, dass er mit dem ehemaligen S-Bahn-Chef weder verwandt noch verschwägert sei.

Am 31. Dezember 1973 legte Friedrich Kittlaus mit 72 Jahren sein Amt in jüngere Hände. Er verstarb am 9. September 1991.

Die Vizepräsidenten für die S-Bahn

Die Leitung der Berliner Reichsbahndirektion bestand aus einem Präsidenten und mehreren Vizepräsidenten. Um die Stellung der S-Bahn ihrer Bedeutung entsprechend zu stärken, wurde Friedrich Kittlaus 1954 als Erster zum Vizepräsidenten für die S-Bahn berufen. Zu diesem Zeitpunkt war er bereits seit fünf Jahren Leiter der Abteilung S-Bahn.
Die Amtsinhaber waren der S-Bahn lange treu. Als die Verwaltung der S-Bahn im Herbst 1990 in der neu geschaffenen Hauptabteilung Nahverkehr aufging, blickte sie lediglich auf drei Vizepräsidenten zurück.

11.11.1954
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31.12.1973 Friedrich Kittlaus
1.1.1974
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8.4.1985 Dr. Günter Götz
9.4.1985
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29.10.1990 Dr. Günter Nierich

Noch länger blieb allerdings die Sekretärin der drei. Ursula Liebert war von 1951 bis 1992 im Vorzimmer tätig.


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Autor:
Manuel Jacob

Quellen:
Dieses Portrait basiert auf den übereinstimmenden Erinnerungen von Mitarbeitern, seiner Tochter und seiner Schwägerin, sowie Dokumenten aus dem S-Bahnbetrieb und dem Nachlass von Friedrich Kittlaus beim Deutschen Technikmuseum (DTM).

Danksagung:
Der Beitrag wurde uns mit freundlicher Genehmigung des Autors bereitgestellt.
Er ist erschienen im Buch: Der elektrische Betrieb auf der Berliner S-Bahn " Band 5: Auf Zeit getrennt - 1960 bis 1980" im Verlag Bernd Neddermeyer

letzte Änderung:
26. Oktober 2008

Veröffentlichung:
26. Oktober 2008

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