Höchstleistung - Die S-Bahn und die Olympischen Sommerspiele 1936

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30 Züge je Stunde - hin und zurück

Betrieblich ergab sich aus der günstigen Lage des Stadions und der übrigen olympischen Sportstätten zur S-Bahn für die Reichsbahn die Aufgabe, die Strecke über Reichssportfeld (heute: Olympiastadion) und die übrigen anschließenden Stadtbahn- und Vorortstrecken auf die höchste betriebstechnisch mögliche Leistung einzustellen und daneben auch die Ringbahn ausreichend mit Zügen zu versehen.

Während auf einigen Außenstrecken, z. B. der Strecke Charlottenburg - Wannsee und Charlottenburg - Spandau, in der Regel nur eine Zuggruppe verkehrte, häuften sich die Zuggruppen im Stadtinneren auf der S-Bahn in den Zeiten des Berufsverkehrs werktäglich auf 28 Züge stündlich. Die verschiedenen Zuggruppen waren dabei in starrem Fahrplan so ineinander verflochten, daß - bei Gruppen mit stündlich 6 Zügen - im Zeitraum von 10 Minuten je ein Zug aus jeder Zuggruppe verkehrte und die Züge einer Zuggruppe auf der gleichen Station immer zur gleichen Minutenzeit abfuhren.

Bild: neuer Ausgang Deutschlandhalle

Neuer Ausgang des Bahnhof Deutschlandhalle (heute: Messe Süd/Eichkamp).

Die Bedienung des Olympiaverkehrs erforderte nun die Einschaltung weiterer Zuggruppen. Fahrplanmäßig waren die Züge dieser Zuggruppen als reine Zusatzzüge gedacht, die unabhängig von den Regelzügen in die Lücken des Regelfahrplans jederzeit eingeschaltet werden konnten.

Von den drei zusätzlichen Sonder-Zuggruppen nach dem Bahnhof Reichssportfeld mit je 10 Minuten Zugabstand wurden zwei Gruppen auf der Stadtbahn zwischen dem Bahnhof Reichssportfeld und dem Schlesischen Bahnhof (heute: Ostbahnhof) und die dritte zwischen Bahnhof Pichelsberg und Charlottenburg vorgesehen. Zuzüglich der ebenfalls in 10-Minuten-Zugfolge verkehrenden Stammgruppe Grünau - Spandau wurde somit bis und ab Reichssportfeld die höchste Belastung der Strecke im elektrischen Betrieb mit stündlich 24 Zügen in jeder Richtung erreicht. Von diesen 24 Zügen kehrte die eine Hälfte in Reichssportfeld, während von der anderen Hälfte 6 Züge in Pichelsberg und 6 Züge in Spandau wendeten.

Bild: Plan der eingelegten Sonderzuggruppen

Eingelegte Sonderzuggruppen am Beispiel des Werktagsfahrplans.


Zuggruppe Zuglauf verkehrt ab
T Reichssportfeld - Westkreuz - Charlottenburg ab 28.7.36 an Werktagen
  Spandau West/Pichelsberg - Westkreuz - Charlottenburg ab 17.8.36 an Sonntagen bei Bedarf
U Reichssportfeld - Stadtbahn - Ostbahnhof/Lichtenberg ab 28.7.36
    ab 17.8.36 bei Bedarf
V Spandau West/Pichelsberg - Stadtbahn - Ostbahnhof/Schöneweide ab 28.7.36 an Werktagen
  Reichssportfeld - Stadtbahn - Ostbahnhof/Schöneweide nur sonntags, ab 17.8.36 bei Bedarf
W Westend - Zoologischer Garten ab 30.7.36 an Sonntagen
    ab 17.8.36 bei Bedarf
Z Wilmersdorf (heute Bundesplatz) - Westkreuz - Gesundbrunnen (Ring) ab 30.7.36 an Werktagen
    ab 17.8.36 bei Bedarf

Da die Signaleinrichtung des Bahnhofs Reichssportfeld und der Strecke auf 2-Minuten-Betrieb abgestellt war, blieben noch Zuglücken für stündlich 6 Dampfzüge frei, die vom Bahnhof Reichssportfeld über die Ferngleise ohne Berührung des Bahnhofs Westkreuz bis Charlottenburg und umgekehrt fahren konnten und somit wirksam zur Entlastung des Umsteigebahnhofs Westkreuz beitrugen.
Die Dampfzüge wurden im Hinverkehr zum Bahnhof Reichssportfeld nur für geschlossene Verbände gefahren. Im Rückverkehr wurden sie zum Auffangen der Verkehrsspitzen und zur Entlastung des elektrischen Betriebes eingesetzt.

Bild: neuer Ausgang Pichelsberg

Neuer Ausgang am Bahnhof Pichelsberg.
Das Formsignal kündet noch von herkömmlicher Streckenblockung.

Die Abfahrzeiten der Züge der vier Gruppen vom Bahnhof Reichssportfeld waren so gehalten, daß immer abwechselnd hintereinander zwei Züge vom Kopfbahnhof und zwei vom Vorortbahnhof abfuhren.
Zur Erleichterung der Betriebsabwicklung wurde die Wendezeit der Züge in Reichssportfeld auf 20 Minuten bemessen, um die Übertragung von Verspätungen der ankommenden Züge auf die Gegenzüge möglichst auszuschalten. Außerdem waren infolge dieser Maßnahme auf dem Kopfbahnhof stets mindestens vier Wagenzüge vorhanden, die bei Regenwetter willkommenen Schutz boten.

Bild: Ausgang Trakehner Allee Bild: Blick vom Terassenrestaurant
Bahnhof Reichssportfeld:
Fußgängerbrücke mit Blick auf das Olympia-Tor der Station.
Bahnhof Reichssportfeld:
Blick vom Terrassenrestaurant auf den Westeingang.

Bei der Durchführung des Betriebes erwiesen sich die für die S-Bahn getroffenen Maßnahmen und die vorgesehene Zahl von Zügen im Allgemeinen als richtig. Der Einsatz der Verstärkungszüge war nach einem besonderen Zeitplan der Olympiadeveranstaltungen vorbereitet. Die Schwierigkeit lag jedoch darin, daß dieser auf Grund der Angaben des Organisationskomitees aufgestellte Zeitplan wohl Angaben über den Beginn der Veranstaltungen und Darbietungen enthielt, im übrigen aber hinsichtlich der Festsetzung des Endes der Darbietungen nicht zuverlässig war. Außerdem zeigte sich, daß das Publikum sich mit der Hinfahrt zu den Veranstaltungen im Vertrauen auf die Leistungsfähigkeit der S-Bahn Zeit ließ.

Der Sonderzugverkehr konnte deshalb nicht einfach auf Grund des Zeitplans eingesetzt werden, sondern es bestand die Notwendigkeit, die Verkehrsströme genau zu beobachten und danach die Sonderzuggruppen von einer Stelle aus unter Anpassung an die wirklichen Bedürfnisse einzusetzen.

Bild: Besucherandrang

Alltäglicher Besucherandrang am Bahnhof Reichssportfeld.

Eine große, überraschende Anforderung an den S-Bahn-Betrieb ergab sich am Freitag, dem 14. August, als das "Große Festspiel" plötzlich abgesagt wurde, während der Hinverkehr in vollem Gange war. Während die bereits angekommenen Fahrgäste nunmehr die Rückfahrt antreten wollten, rollte etwa die Hälfte der Besucher noch dem Bahnhof Reichssportfeld zu, so daß für die Zurückkehrenden der Platz knapp zu werden begann.

Hier taten die Dampfzüge, die in kurzen Abständen gefahren wurden, besonders gute Dienste. Außerdem trug die vom Betriebsleiter der Reichsbahndirektion Berlin getroffene Anordnung, den anrollenden Fahrgästen auf der Stadt- und Ringbahn das Ausfallen der Veranstaltung durch Ausrufen bekanntzugeben und sie ohne Lösung neuer Fahrkarten nach Hause fahren zu lassen, wesentlich zur schnellen und fast reibungslos verlaufenden Abwicklung des Rückverkehrs bei.

Rekordverdächtig

Über die Größe der Verkehrs- und Betriebsleistungen in jenen Tagen des Jahres 1936 liegen interessante Zählungen vor. Insgesamt beförderte die S-Bahn in der Zeit vom 1. bis 16. August 28,4 Millionen Fahrgäste, von denen über 8 Mio. als Zusatzverkehr gerechnet werden konnten.
Allein zu und von den Bahnhöfen der Hauptsportstätten Pichelsberg, Reichssportfeld (Olympiastadion), Heerstraße und Deutschlandhalle (Messe Süd/Eichkamp) wurden über den gesamten Zeitraum 4,4 Mio. Reisende befördert.

Bild: Beförderungsleistung als grafische Übersicht

Die Beförderungsleistung in der grafischen Übersicht.

Eine noch nie dagewesene Spitzenleistung brachten der 9. August mit 2,22 Mio. und der 16. August mit 2,15 Mio. Reisenden. Zur Beförderung dieser Besuchermassen wurden an diesen Tagen 760 und 725 Sonderzüge gefahren. Von und zu den vier Bahnhöfen der olympischen Sportstätten wurden am 9. August 421.000 und am 16. August 381.000 Reisende befördert.

Zahlen, die bis ins Heute von der Leistungsfähigkeit der S-Bahn und vor allem der bei ihr tätigen Eisenbahner zur damaligen Zeit zeugen.

Bemerkenswert ist vor allem der 2-Minuten-Takt auf der Zufahrt zum Bahnhof Reichssportfeld. Hier bestand im Jahre 1936 noch der herkömmliche Streckenblock (sog. Felderblock), die Sv-Signaltechnik auf den dortigen Vorortgleisen hielt erst 1938 Einzug. Die dichte Folge von bis zu 30 Zügen je Stunde und Richtung zu Spitzenzeiten ließ das Stellwerkspersonal in diesen 16 Tagen sicher recht selten Luft holen.


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Autor:
Hagen Lencer

Quellen:
Verkehrstechnische Woche 1936
Reichsbahn und XI. Olympische Spiele; Rudolf Meyer; Die Reichsbahn 1936
Die Reichsbahn im Dienst der XI. Olympischen Spiele Berlin 1936; H. Dorpmüller, Die Reichsbahn 1936

letzte Änderung:
26. Dezember 2009

Veröffentlichung:
26. Oktober 2008

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