Die Friedhofsbahn

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Auch wenn die Friedhofsbahn verkehrlich gesehen nur eine relativ kurze Betriebsdauer von 48 Jahren hatte, durchfährt sie bis heute viele Kapitel der deutschen Geschichte.

Es ist eine recht kühle, sternklare und windstille Sommernacht von Sonnabend zu Sonntag auf einem im Wald gelegenen und fahrgastleeren S-Bahnhof. Die Vögel schweigen noch, lediglich einige Grillen zirpen durcheinander. Eine Bahnmitarbeiterin fertigt fahrplanmäßig kurz vor halb zwei einen im Bahnhof stehenden S-Bahnzug in Richtung Berlin-Wannsee ab. Die nächtliche Ruhe wird durch das Zuschlagen zweier Türen und durch das bekannte Brummen der anfahrenden S-Bahn für kurze Zeit unterbrochen. Da es mitten in der Nacht ist, fährt dieser S-Bahnzug vermutlich ohne Fahrgäste ab. Die milchigen Lichter aus dem Fahrgastraum des S-Bahnzuges werfen gespenstisch wandernde Schatten in den Wald.

Nachdem die roten Schlußlichter der S-Bahn im Wald verschwunden und das Brummen nur noch ganz leise aus der Entfernung zu hören ist, hat die Mitarbeiterin ein wenig Zeit, den Dienstraum aufzuräumen und den Bahnsteig grob abzufegen, bis der nächste S-Bahnzug zurückkehrt. Das eben noch lebhafte, aber immer leiser werdende Fahrgeräusch der S-Bahn ist in der Entfernung verstummt. Die Bahnmitarbeiterin wartet vergebens auf den nächsten Zug. Dafür erhält sie ganz plötzlich unerwarteten Besuch von der Transportpolizei...

13. August 1961: Wir befinden uns auf dem S-Bahnhof Stahnsdorf; einem heute längst vergessenen S-Bahnhof.

Berlin hatte Anfang des 19. Jahrhunderts knapp 172.000 Einwohner, die sich mit der großen Industrialisierung in der Mitte des 20. Jahrhunderts vervielfachten. Mit dem großen Zuwächsen bei den Einwohnerzahlen drohte neben der akuten Wohnungsknappheit auch ein Mangel an Beerdigungsmöglichkeiten. Den bestehenden Friedhöfen drohte ein Kapazitätsengpass, denn zu diesem Zeitpunkt waren Feuerbestattungen seitens der Kirche unüblich. Da weiter mit einem rasanten Bevölkerungszuwachs in Berlin zu rechnen war, wurde am 18. Mai 1895 der Berliner Stadtsynodalverband, die zentrale Wirtschaftsverwaltung der evangelischen Kirche, per Staatsgesetz verpflichtet, für ausreichend Begräbnisplätze außerhalb der Stadt Berlin zu sorgen. Neben einem 450 ha großen Gelände in Ahrensfelde für einen Ostkirchhof, einem 103 ha großen Gelände in Mühlenbeck für einen Nordkirchhof, wurde im Jahr 1902 in Stahnsdorf ein ca. 150 ha großes Gelände für einen Südwest-Kirchhof für Berlin erworben.

Bild: Einfahrt Wannsee 1913

Überschneidung des Hauptgleises nach Stahnsdorf mit dem von Güsten östlich vom Bahnhof Wannsee.
Repro: Zentralblatt der Bauverwaltung; Nr. 84 vom 21. Oktober 1914.

Der Friedhof in Stahnsdorf wurde im März 1909 eröffnet. Schon kurze Zeit später machten sich die Probleme bemerkbar, die schon in der Planungsphase des Friedhofes bedacht wurden. Einer Zählung auf verschiedenen evangelischen Kirchhöfen in Berlin zur Folge, wurde auf jeden erwachsenen Verstorbenen ein Trauergeleit von etwa 65 Menschen gezählt. In den nächsten zehn Jahren rechnete man bei 6000 Beerdigungen mit 1,5 Millionen Trauergästen zzgl. den regulären Friedhofsbesuchern pro Jahr. Bereits im Jahr 1904 wurden reichliche Überlegungen angestellt, wie der Kirchhof im Südwesten von Berlin verkehrlich gut erschlossen werden könnte. Die Verlängerung der Straßenbahn ab der Kleinmachnower Schleuse wurde in Erwägung gezogen, wofür bereits schon eine Genehmigung vorlag sowie auch die Anbindung der projektierten und 1909 eingeweihten Teltower Industriebahn, die heute nur noch bis auf ein verbliebenes Gleis existiert. Um die Friedhofsbesucher nach Stahnsdorf zu befördern wurden Buslinien aus der Innenstadt und vom Bahnhof Wannsee eingerichtet, die besonders an den Totensonntagen sowie auch an den Buß-und Bettagen völlig überlastet und somit nicht ausreichend waren.

Zudem gestaltete sich die Beförderung von Verstorbenen auf dem Straßenweg sehr problematisch. Mit der Eröffnung des Friedhofes in Stahnsdorf wurde an der Berliner Ringbahn zwischen den Bahnhöfen Halensee und Hohenzollerndamm an der Paulsborner Straße ein Leichensammelplatz samt Gleisanschluss errichtet. Dieser diente zur Annahme von Särgen, die für den Südwestfriedhof in Stahnsdorf vorgesehen waren. Der Transport einzelner Särge erfolgte anschließend mit Zügen nach Wannsee, von wo aus diese anschließend mit Fuhrwerken oder auch Lastkraftwagen nach Stahnsdorf transportiert worden sind. Diese Art des Transportes stellte sich schnell als unwürdig heraus und auch kam es immer wieder zu diversen Transportproblemen.

Der Stadtsynodalverband wandte sich schon beim Erwerb des Friedhofsgeländes im Jahr 1902 an die Königlich Preußische und Großherzoglich Hessische Staatseisenbahn (K.P.u.G.H.St.E.), um eine Stichbahn zum Südwestkirchhof in Stahnsdorf neu errichten zu lassen. Hierfür gab es mehrere Streckenüberlegungen. Eine Trasse wurde ab dem Bahnhof Neu-Babelsberg, dem heutigen S-Bahnhof Griebnitzsee vorgeschlagen und der Kirchhof in Stahnsdorf wäre nach einer langgezogenen Kurve an der alten Potsdamer Landstraße erschlossen worden. Doch hier rechnete man mit einem zu großen Umweg für die Fahrgäste, daher wurde diese Planungsvariante auch schnell wieder aufgegeben. Für eine abzweigende Bahnlinie nach Stahnsdorf stellte sich der Bahnhof Wannsee als am besten geeignet dar, da hier ein Anschluss an das Staatsbahnnetz bestehen würde und man die Strecke so auch in den Nahverkehrstarif integrieren könnte.
Nach mehreren Verhandlungen kam der Vertrag zwischen Stadtsynode und der K.P.u.G.H.St.E. im Jahr 1909 zustande, mit den Voraussetzungen, dass die Stadtsynode das zu bebauende Bahngelände zur Verfügung stellen sowie auch die Baukosten von knapp 1,7 Millionen Mark tragen sollte.

Bild: Teltowkanalbrücke 1913

Die Teltowkanalbrücke im Jahre 1913.
Repro: Zentralblatt der Bauverwaltung; Nr. 83 vom 17. Oktober 1914.

Die Stahnsdorfer Terraingesellschaft besaß ein großes Interesse an einem eigenen Bahnanschluss und somit überließ man das zu bebauende Bahngelände an die Stadtsynode kostenfrei und beteiligte sich bei den Baukosten mit 630.000 Mark. Die Grundbesitzer der Kolonie Dreilinden waren anfangs vom Bahnbau nicht überzeugt und wehrten sich dagegen. Nach langwierigen Verhandlungen überließen auch sie das Gelände für den Bahnbau ebenfalls kostenfrei der Stadtsynode, mit der Bedingung, dass auf Kosten der Kirche der Bahnhof zu errichten sei. Vertraglich wurde festgelegt, dass die Staatsbahn nach Fertigstellung den Verkehr auf eigene Kosten betreiben sollte, sowie auch für die anfallenden Instandhaltungs- bzw. Reparaturkosten aufzukommen hatte.

Die Strecke wurde mit einer Länge von knapp 4,4 Kilometer projektiert und sollte nur eingleisig ausgebaut werden. Auch eine Verlängerung hinter Stahnsdorf bis nach Teltow und Groß Lichterfelde stellte man in Aussicht. Der Teltower Landrat Ernst von Stubenrauch erklärte sich ebenfalls für eine kostenfreie Geländeüberlassung bereit, doch diese Verlängerung wurde seitens der Staatseisenbahn vorerst als unrentabel eingestuft und damit auch verworfen. Dennoch wurde der Endbahnhof in Stahnsdorf nicht als Kopfbahnhof ausgeführt.

Die Stichbahn ab Wannsee über Dreilinden bis nach Stahnsdorf sollte bereits im Herbst 1912 fertiggestellt werden, doch es kam aufgrund der recht aufwändigen Streckenführung zu Behinderungen. Die Strecke begann in Wannsee ebenerdig und verlief auf einem Überführungsbauwerk über die Wetzlarer Bahn in einer langgezogenen 90 Grad-Linkskurve in den Kleinmachnower Forst. Hier wurde die Strecke auf einen Bahndamm angelegt und überspannt dabei den Kurfürstenweg und den Gestellweg (ein einfacher Waldweg). Nach etwa 1,5 Kilometern hinter dem Bahnhof Wannsee verläuft die Strecke ebenerdig und geht anschließend in einen Bahneinschnitt über und unterfährt nach knapp zwei Kilometern die 21 Meter lange Königswegbrücke. Kurz dahinter unterfährt die Bahn die Brücke der 1838 eröffneten Potsdamer Stammbahn, der ersten Eisenbahnlinie Preußens. Hier erreicht die Strecke den 200 Meter langen Seitenbahnsteig des Haltepunktes Dreilinden. Die Strecke wird hinter der Brücke des Stolper Weges wieder ebenerdig und überquert auf einer 62 Meter langen Gitterfachwerkbrücke, der sogenannten Totenbrücke, den 1906 fertiggestellten Teltowkanal. Hinter diesem verläuft die Bahn für knapp 100 Meter auf einem Bahndamm, wird anschließend wieder ebenerdig und nach der Unterfahrung des Teerofenweges und der alten Potsdamer Landstraße endet die Bahnstrecke in Stahnsdorf an einem Mittelbahnsteig wieder in einem Einschnitt.

Diese aufwändige Streckenführung war notwendig, um Steigungen und Gefälle ausgleichen zu können und somit die Trasse an das dortige Gelände anpassen zu können. Auch war der Bahneinschnitt notwendig, um die Stammbahn unterfahren zu können. Im Laufe der Jahre kamen viele weitere Brücken hinzu und auf der heute knapp 4,7 Kilometer langen Trasse über- oder unterfuhr die Friedhofsbahn, bei ausserachtlassen der Brücke in Wannsee, insgesamt zwölf Brücken.

Bild: Übersichtsplan der Friedhofsbahn

Übersichtsplan zur Lage der Friedhofsbahn.
Repro: Zentralblatt der Bauverwaltung; Nr. 83 vom 17. Oktober 1914.


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