Die Verbindungsbahn Neukölln - Baumschulenweg


Wannseebahn, Ringbahn, Stadtbahn - diese Strecken kennt jeder. Die Verbindungsbahn Baumschulenweg - Neukölln, obwohl selbsterklärend, kennen wohl die wenigsten unter ihrem Namen. Am 8. Juni 1896 wurde die 5,3 Kilometer lange Strecke zwischen Schöneweide und Rixdorf (heutiger S-Bahnhof Neukölln) eröffnet, sie diente anfänglich nur dem Güterverkehr. Da sich der Abzweig erst nördlich des S-Bahnhofes Baumschulenweg befindet, beträgt die eigentliche Länge dieser Verbindungsbahn "nur" 3,48 Kilometer (jeweilige Bahnhofsmitte Baumschulenweg und Neukölln). Die ursprünglichen Planungen gingen von einer Weiterführung der eingleisigen Güterzugstrecke auf einem separaten Gleisplanum bis zum Rangierbahnhof Schöneweide aus.

Die von Anfang an eingleisige Güterzugstrecke erhielt im Jahre 1910 auf ihrer nördlichen Seite zwei Gleise für den Vorortverkehr - dem Vorläufer des späteren S-Bahnverkehres. Dieser hielt am 6. November 1928 auf der Strecke seinen Einzug. Die Deutsche Reichsbahn baute aufgrund des anwachsenden Güterverkehres im Bereich des S-Bahnhofes Köllnische Heide ein ca. 600 Meter langes Kreuzungsgleis auf, sechs Hauptsignale und ein Stellwerk ergänzten die Anlage - fertig war der Betriebsbahnhof Köllnische Heide.

Bild: vorbereitetes Brückenfundament

Das vorbereitete Brückenfundament am südlichen Ufer des Britzer Zweigkanals (16. September 2006).

Mit der von den Nationalsozialisten geplanten Umgestaltung Berlins zur "Welthauptstadt Germania" und der daraus folgenden Neugestaltung der Berliner Bahnanlagen wäre auch diese Verbindungsbahn betroffen gewesen. Noch heute künden Widerlager im Bereich des Britzer Zweigkanals von den einstigen Planungen. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges verblieben die drei Gleise weiterhin in Betrieb, der Kreuzungsbahnhof Köllnische Heide wurde bis 1954 genutzt. Der ehemalige Fahrdienstleiter Horst Witte erinnert sich:

Das Stellwerk Khd war, was für ein nur für den Güterverkehr gedachtes Stellwerk ungewöhnlich war, mit einer Gleisbesetzungstafel ausgestattet. Ungefähr 1954 wurde das S-Bahngleis Neukölln - Baumschulenweg ausgeschwenkt, um einen Kontrollbahnsteig mit Baracke zwischen den Gleisen einzubauen. Wir nannten ihn "Filzbahnsteig". In Schönhauser Allee gab es ein gleiches Objekt. Diese Kontrollbahnsteige wurden aber niemals genutzt, aber von der Transportpolizei bewacht. Durch das Ausschwenken des Gleises konnte im Güterverkehr nur noch das Überholgleis genutzt werden.

Mit dem Bau des "antifaschistischen Schutzwalls", so die offizielle Nennung der Mauer im DDR-Sprachgebrauch, kam jeglicher Verkehr zwischen Baumschulenweg und Köllnische Heide zum Erliegen. Während der S-Bahnverkehr noch bis zum September 1980 die Stummelstrecke von Neukölln aus befuhr, fiel das Güterzuggleis dem Vergessen anheim. Im Bereich der nun entstehenden Grenzanlagen wurde der Bahndamm auf ca. 200 Metern gänzlich weggebaggert. Vom S-Bahnhof Köllnische Heide zur neuen Staatsgrenze waren es nur ca. 270 Meter.
Ein interessanter Aspekt sei noch genannt: Nach dem Bau der Mauer fuhren die rot-gelben Züge den Bahnhof Köllnische Heide nur noch im 20-Minutentakt an. Dazu wurde bis zum Dezember 1974 (?) das nördliche Streckengleis Köllnische Heide—Neukölln befahren. Im besagtem Jahr wurde der Bahndamm im Bereich zwischen der Straße Sonnenallee und Grenzallee abgängig. Die DR baute daraufhin einen kleinen "Schwenker" westlich der Brücken über die Grenzallee in das Streckengleis ein und nahm ab dort das brachliegende Streckengleis Neukölln—Köllnische Heide mitsamt dem Bahnsteiggleis 2 wieder in Betrieb.

Wer kann uns zur Verlegung der Gleise bzw. der Betriebsführung genaue Angaben machen? Bitte setzen Sie sich dazu mit uns in Verbindung.

Bild: Grenzanlagen 1984

Blick in die Grenzanlagen mit LKW W50 der Grenztruppen der DDR, Grenzkommando Mitte.
Im Hintergrund gut erkennbar der ehemalige Bahndamm in Richtung Baumschulenweg sowie die Abtragungen im Grenzstreifen.
Auch erkennbar (von vorn nach hinten):
vordere Sperreinrichtung, Kfz-Sperrgraben, Kontrollstreifen, Kolonnenweg, Grenzsignalzaun. Dahinter nochmals eine (weisse) Sperrmauer (31. Mai 1984).

September 1980: der Zweite Reichsbahnerstreik bringt den S-Bahnverkehr auf der Ringbahn wie auch auf dem Bahnhof Köllnische Heide komplett zum Erliegen. Nach Streikende wird der Betrieb nicht wieder aufgenommen, die Reststrecke der Verbindungsbahn Neukölln - Baumschulenweg verfällt in den Dornröschenschlaf.
Mit dem Fall der Mauer am 9. November 1989 und den sich daraus ergebenden neuen (und geplanten) Verkehrsströmen kamen auch erste Reaktivierungsszenarien auf. Am 17. Dezember 1993 ging die S-Bahnstrecke zwischen Baumschulenweg und Westend wieder in Betrieb. Der Aufbau des Güterzuggleises begann im Herbst 1994. Während auf der Westberliner Seite das Gleisplanum nach einer Sanierung weiter verwendet werden konnte, mußte auf Ostberliner Seite im Bereich der ehemaligen Grenze der Bahndamm neuaufgeschüttet bzw. das Ausfädelungsbauwerk im Bereich Baumschulenweg gänzlich neu gebaut werden.

Bild: Ringbrücke

Sommer 1979 - Fahrt zum Güterbahnhof Treptow:
Links das S-Bahngleis Neukölln - Sonnenallee, in Bildmitte die eisernen Tragbrücken der Gleise zum S-Bahnhof Köllnische Heide.

Um die Strecke signal- und sicherungstechnisch bedienen zu können, wurde im Stellwerk "Bsw" des S-Bahnhofes Baumschulenweg am 18. August 1995 ein zusätzlicher Stelltisch in Betrieb genommen. Der erst im Jahre 1984 in Betrieb genommene automatische Streckenblock AB70 mußte im Bereich Baumschulenweg durch einen Relaisblock ersetzt werden. Die S-Bahnstrecke inklusive dem S-Bahnhof Köllnische Heide wurde mit der Wiederinbetriebnahme des Südringes gleich mit ESTW-Signaltechnik ausgestattet. Bei der Fernbahn hingegen wurde der Güterbahnhof Neukölln noch rein mechanisch bedient. Da das Stellwerk "Not" (dieses war einmal nur für den östlichen Steuerbereich der Fernbahn verantwortlich) schon lange nicht mehr existierte, übernahm das westlich gelegene Stellwerk "Nkn" die neuen Aufgaben in Richtung Baumschulenweg. Dabei wurde auch alte Signalbrücke abgerissen, die alle Güterbahnhofgleise überspannte.

Mit der Wiederinbetriebnahme des Güterzuggleises am 21. August 1995 ist die Verbindungsbahn Baumschulenweg - Neukölln wieder vollständig in Betrieb. Während die S-Bahn tagsüber in einem (rechnerischen) Zehnminutentakt verkehrt, sind auf dem Güterzuggleis nur gelegentlich Züge unterwegs.


Zur Verbindungsbahn Neukölln - Baumschulenweg gehört der folgende Bahnhof:

Köllnische Heide

Autor:
Mike Straschewski

Quellen, weiterführende Buchtipps und Links:
Die Verbindungsbahn Baumschulenweg - Berlin-Neukölln; Roland Ebert & Bernd Kuhlmann; Verkehrsgeschichtliche Blätter, Heft 1/1996
Bahnknoten Berlin; Bernd Kuhlmann; Verlag GVE; 2000
S Bahn Berlin - Geschichte(n) für unterwegs, Bernhard Strowitzki, GVE, 2002
Berlins S-Bahnhöfe; Jürgen Meyer-Kronthaler/Wolfgang Kramer, be.bra Verlag, 1998
Die Grenze - ein deutsches Bauwerk; Jürgen Ritter & Peter Joachim Lapp; Verlag Ch. Links; 3. Auflage 1999

letzte Änderung:
19. Oktober 2013

Veröffentlichung:
26. Oktober 2008

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