Ende 1983 beschlossen die Deutsche Reichsbahn (DR) und der Westberliner Senat in einer S-Bahn-Vereinbarung, daß die Betriebsführung für das Westberliner S-Bahnnetz von der DDR-Reichsbahn an eine vom Senat "zu bestimmende Stelle" übertragen werden sollte. Für den Termin erkor man den 9. Januar 1984 aus. Als die "zu bestimmende Stelle" wurde die Westberliner BVG (Berliner Verkehrs-Betriebe) benannt. Die Mitgift der DR bestand abseits der Bahnhöfe, Fahrzeuge und sonstiger Infrastruktur auch in der Übernahme von 672 Arbeitskräften, von denen nur 60 Triebfahrzeugführer waren [1][2].
Obwohl die BVG vorerst nur ein Netz von 21 Kilometern bediente, war schon von Anfang an absehbar, daß aufgrund weiterer Streckeninbetriebnahmen der Personalbedarf, gerade bei den Triebfahrzeugführern, ansteigen würde. So stellte die BVG wieder Lokführer ein, die während und nach dem Zweiten Reichsbahnerstreik die DR verließen bzw. verlassen mußten. Diese ehemaligen Lokführer bekamen eine Kurznachbildung von 3 bis 5 Wochen. Zudem wurden von der Deutschen Bundesbahn 20 Lokführer der Hamburger S-Bahn zur zeitweisen Personalhilfe nach Berlin entsand. Trotzdem mußte der neue Betreiber umgehend mit der Ausbildung der künftigen Personale beginnen. Zum damaligen Zeitpunkt rechnete man mit einer Dauer von vier Monaten. [1] Die Ausbildung umfaßte nicht nur das Erlernen und Anwenden der betrieblichen Vorschriften sowie das ordnungsgemäße Führen der Züge, sondern auch spezielle Sonderfahrten für Störungsfälle. Die Reichsbahn nutzte in Westberlin ab 1971 für diese Störfahrten den Streckenabschnitt Wannsee - Westkreuz.
Paßviertelzugeinsatz zu Ausbildungszwecken für angehende BVG-Triebwagenführer im stillgelegten S-Bahnhof Eichkamp (1985).
Der theoretische Unterrichtsteil fand in den Sozialräumen der Triebwagenhalle Hundekehle statt, für den praktischen Teil wurde der seit September 1980 stillgelegte Streckenabschnitt Eichkamp - Heerstraße der Spandauer Vorortbahn auserwählt. Dazu überführte man meist gegen 6:45 Uhr einen Halb- oder auch Dreiviertelzug von Wannsee nach Westkreuz in eine der dortigen Kehranlagen. Die Ausbildungsgruppe meldete sich beim Fahrdienstleiter Wk an, der daraufhin die Einschaltung des Stromes für die stillgelegte Strecke beantragte. Nach erfolgreicher Zuschaltung (es klappte nicht immer auf Anhieb), wurde langsam abgefahren und je nachdem in Eichkamp oder Heerstraße gehalten. Dort präparierte der Ausbilder den Zug entsprechend (Einbau schadhafter Sicherungen, Überbrücken der elektrischen Kupplungen usw.) und die Ausbildung konnte beginnen. Ziel einer Fahrt war jeweils der andere Bahnhof, dieser wurde jedoch selten ohne eine Zugstörung erreicht.
Der Ausbildungszug im Bahnhof Heerstraße (1985).
Eine der Ausbildungsgruppen des Jahres 1985.
Sinn und Zweck dieser Ausbildungen war es, den zukünftigen Triebfahrzeugführern Handlungssicherheit im Umgang mit den Zügen, gerade bei auftretenden Störungen, zu geben. Um die zuvor erlernten Bauteile, deren Einbauorte sowie das Zusammenspiel aller Apparate besser kennenzulernen zu können, wurde der Zug in die südliche Einfahrt des Bahnhofes Heerstraße plaziert. Stellten sich die Schulungsteilnehmer in die Bahnböschung, hatten sie einen guten Überblick auf den unterflurigen Teil der Züge.
Ein Grill auf dem Bahnhof Eichkamp sorgte nicht nur für die Essensversorgung, sondern beschäftigte auch einen Teil der Auszubildenden, während die anderen ihre Störungsfahrten absolvierten.
Nach einer am 12. November 1984 durchgeführten Probefahrt führte die BVG ihre erste Schulungsfahrt am 22. November 1984 durch [3]. Diese Fahrten endeten im Jahre 1992. Weitere Fahrten fanden auf dem ehemaligen zweiten Streckengleis von Griebnitzsee nach Wannsee (heute auch bekannt als Testgleis des S-Bw Wannsee) zwischen der Betriebswerkstatt und Kohlhasenbrück statt.
Um elektrische Schäden besser eingrenzen zu können, war es auch mal nötig, die Leitungen an der Kurzkupplung zu trennen. Da diese Kabel in der Regel nur sehr selten angefasst wurden und entsprechend schwergängig waren, bedurfte es schon einiges an Kraft (1987).
Auch ein Thema der Schulungen war das Abschieben bzw. Abziehen von Zügen mit unterschiedlichen Baureihen. Hier besprechen zwei BVG-Fahrmeister ihre weitere Vorgehensweise. Der Viertelzug 276 379 wurde zu diesem Schulungszweck von der Deutschen Reichsbahn ausgeliehen (1990).
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Autor:
Mike Straschewski
Quellen:
Zeitzeugenerinnerungen diverser Triebfahrzeugführer
[1] Die S-Bahn-Übernahme; Uwe Poppel; Berliner Verkehrsblätter; Heft 2/1984.
[2] Mario Walinowski schreibt in seinem Buch "S-Bw Wannsee - Betriebswerkstatt im Grünen" von 64 Triebfahrzeugführern.
[3] Kurzmeldung Berliner Verkehrsblätter, Heft 11/1984
letzte Änderung:
19. August 2010
Veröffentlichung:
17. Januar 2010