Berliner Stadtbahnbilder - Ein Abenteuerfilm

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Frage: Bemerkenswert am Film ist der Tonschnitt, man hört die S-Bahn, sieht eine Kameramitfahrt, und im nächsten Augenblick fährt die S-Bahn in den Bahnhof ein und man hört die Bremsgeräusche. Es passt einfach alles. Wie schafft man das?

Zu einem guten Film gehört auch ein gutes Maß an Zufällen. Da sind zwei Dinge zusammengekommen: Ich brauchte von einem Tag auf dem anderen einen Tonmann und ein Produzent bot mir Manfred Herold an. Ich erzählte ihm, dass ich seit Jahren Hörspiele mache und es stellte sich heraus, dass er sich sehr für Hörspiele interessiert und viel hört. Wir haben sehr schnell eine intensive Arbeitsbeziehung aufgebaut. Hinterher, als die Dreharbeiten schon fertig waren, wurden die Tonaufnahmen gemacht. Der Film ist weitestgehend nachvertont, er ist überwiegend stumm gedreht, oder nur mit einem Arbeitston. Mit der Cutterin Ursula Höf und mit viel Zeit haben wir im Schneideraum die Töne sehr sorgfältig angelegt oder verschoben. Das muss auch so sein bei einem solchen Film: wenn man einen minimalistischen Film macht wie diesen, dann muss das wenige stimmen, und zwar ganz exakt.
Der entscheidende Satz ist: Filmemachen ist die Kunst der Zusammenarbeit. Leider wird in der Kritik und in der Filmpublizistik zu oft so getan, als wäre da immer so ein übermäßig begabtes Individuum namens Regisseur, was das alles machen würde, aber das ist Schwachsinn. Ein guter Film entsteht dann, wenn eine gute Idee und eine Gruppe von Menschen, die gemeinsam das Gleiche wollen, zusammenkommen. Und wenn dann nichts schief geht, wenn alle sich gut vertragen, was auch selten ist, dann entsteht ein guter Film, weil dann denkt man im Kopf des anderen oder der anderen. Dann hat man ein blindes Verständnis. Das ist so wie beim Fußballspiel, wenn eine Mannschaft eingespielt ist, dann kennt man die Laufwege, dann schiebt man den Ball dahin, wo man weiß, der linke Außenverteidiger kommt von hinten und nimmt den Ball, den ich jetzt nach vorne schiebe, auf. Und so ist das auch beim Filmemachen.
Sie können keinen Film machen, wenn sie alles endlos lange diskutieren müssen. Da muss einfach ein Blick genügen. Das muss so funktionieren. Wenn man alles verbalisieren muss, dann hat das keinen Sinn.

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Frage: Welche Gefühle hat man so bei den Dreharbeiten? Gleich am Anfang sieht man eine Fahrt durch das Grenzgebiet von Gesundbrunnen über Bornholmer Straße nach Wollankstraße, bei der die Kamera tief hinein in die Grenzanlagen filmt. War man ständig auf der Hut?

Ja. Immer. Der ganze Film ist entstanden aus einem permanenten Gefühl gesteigerter Sensibilisierung. Man steht permanent unter Strom, aber das ist bei jedem Film so. Ich nenne das: Ich stehe unter Drehstrom. Das geht dann morgens los: man wacht anders auf. So ein Film macht ja auch Spaß, einen kreativen Dokumentarfilm zu machen macht mehr Spaß als einen Spielfilm zu machen. Bei einem Spielfilm regiert die Disposition, die alles sehr genau festsetzt. Man weiß dann auch, was den ganzen Tag passieren wird. Man dreht drei Stunden im Wohnzimmer, innen, eine Dialogszene und dann wird man rausgehen und filmt, wie sie unten aus der Tür herauskommen. Nachmittags dreht man eine Autofahrt oder so. Bei einem Dokumentarfilm wissen sie morgens nicht, wo sie abends landen werden. Und das ist schon ein Abenteuer.

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Frage: Die Ausleuchtung im Film ist dann teilweise auch extrem dunkel. Ist es extra so gewollt?

Wir benutzten

a) kein Kunstlicht, um erstens nicht aufzufallen
b) es war kein Geld dafür da.
c) Wo hätten wir ohne Drehgenehmigung der Reichsbahn einen Stecker in die Steckdose zum Aufladen stecken können?
d) Ich war damals und bin es heute noch ein Liebhaber des existierenden Lichtes.

Schon im ersten Gespräch mit Hauptkameramann Jürgen Jürges war schon klar, dass wir mir High-Speed-Linsen, also mit Hochleistungsobjektiven, arbeiten würden und mit extrem empfindlichem Filmmaterial. Und dann haben wir noch teilweise ein oder zwei Blenden forciert. Der Film oder auch das Kino haben ja eine Affinität zur Nacht und insofern kann es auch sein, das ich im Schneideraum Nachtbilder ein Stück weit bevorzugt habe gegenüber Tagaufnahmen.

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Ich habe darauf geachtet, die Materialität des Objektes einzufangen. Es ist schön zu sehen, wie bei Sonne die Schatten über die Außenhaut der Züge gleiten. Siegfried Kracauer hat darüber ein Buch geschrieben, "Die Errettung der äußeren Wirklichkeit", und das ist äußere Wirklichkeit. Kamerarealität, Fluss des Lebens, die Materialität der Außenhaut dieser Züge, das ist etwas, was die Zuschauer, die den Film gesehen haben, egal ob in Deutschland oder in Indien oder in den USA, fasziniert hat. Und dann auch noch das Gelände, wo die Zeit stehen geblieben ist.

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