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Geteilter Himmel (1961/62)
War noch im Frühjahr 1961 der dichteste Fahrplan der Nachkriegszeit eingeführt worden, so brachte der Bau der Berliner Mauer am 13. August einen tiefen Einschnitt und was 1953 noch eine vorübergehende Erscheinung war, war von nun an Dauerzustand: Der Betrieb zweier völlig voneinander getrennter S-Bahn-Netze in Ost und West, die aber beide von der Rbd Berlin organisiert wurden.
In Westberlin brachte der Mauerbau nur wenige Änderungen. Einige Zuggruppen, die nur in der HVZ in die Westsektoren fuhren, entfielen; ein paar Strecken waren wegen notwendiger Umbauarbeiten (Neukölln - Köllnische Heide) oder wegen zu großer Grenznähe (Spandau West - Staaken) vorübergehend außer Betrieb. Auch nach Beginn des S-Bahnboykotts hielt die Reichsbahn den bestehenden Fahrplan, es wurden lediglich die Züge entsprechend den zurückgegangenen Fahrgastzahlen gekürzt.
Anders sah die Situation im Osten aus. Wie schon 1953 wurde die Achse Blankenburg - Ostring - Schöneweide zur zentralen Nord-Süd-Verbindung Ostberlins, allerdings konnte sie ihre Aufgabe erst nach dem Bau der neuen Trasse Pankow - Schönhauser Allee gegen Ende des Jahres 1961 voll gerecht werden. Neben der kompletten Umorganisation des Ostberliner Netzes waren auch noch die durch den Mauerbau von Restnetz abgeschnittenen Inselbetriebe aufrechtzuerhalten. Mit Ausnahme der beiden Nordstrecken wurden diese bis Oktober '61 eingestellt, die Oranienburger Strecke wurde noch im selben Jahr über den Außenring wieder mit dem Restnetz verbunden.
Trotz der Teilung blieben die zusammenhängenden Zuggruppenbezeichner bestehen, was teilweise zu einer vorübergehenden Dreifachnutzung (auf den Zuggruppen 3, H, L) führte. Als Regel wurde eingeführt, dass bei in beiden Teilnetzen verwendeten Namen die Westzuggruppe Umlaufnummern ab der 1 führte, die Ostzuggruppe Umlaufnummern ab 10.
Zwei Welten, ein Betrieb (1962-1972)
Während sich im Laufe der sechziger Jahre im Westnetz fast gar nichts tat, mussten sich die Ostberliner bis 1970 etwa alle zwei Jahre an neue Fahrpläne gewöhnen. Besonders umfangreich geriet der Fahrplanwechsel am 31. Mai 1964, der nicht nur neue Zugläufe, sondern auch ein neues Zuggruppenkonzept (im Grunde das erste überhaupt) brachte. Dieses sah vor, dass das A für den Ring reserviert bleibt, B bis H Zuggruppen der Stadtbahn und ihrer Anschlussstrecken bezeichnen, K bis O für die Zuggruppen der Nord-Süd-Strecken vergeben werden und der Veltener Inselbetrieb die Bezeichnung V erhält. Die Folge waren einige Umbenennungen sowie das Verschwinden der Ziffern-Bezeichner im Ostnetz.
Ein Jahr später begann man mit der flächendeckenden Einführung des Einmannbetriebs (EMB), welche - außer Zuggruppe 5 - bis Ende '69 abgeschlossen war. Diese Maßnahme brachte die Einführung der Funknamen mit sich.
Eine ungewöhnliche Zuggruppe tauchte erstmals 1967 auf: Die W. Diese wurde von drei Umläufen gebildet, die die Strecke Erkner - Ostbahnhof - Schöneweide - Alexanderplatz - Erkner fuhren; hinzu kamen zwei weitere Umläufe auf der Strecke Grünau - Alexanderplatz - Köpenick - Ostbahnhof - Grünau. Obwohl die W eine reguläre Einsatzzuggruppe war, wurden die Fahrten nicht im Kursbuch erwähnt. Nur anderthalb Jahre danach war die Zuggruppe schon wieder verschwunden. Wenig später war sie wieder da, als Bedarfszuggruppe auf der Erknerstrecke und der Ostbahn, ab 1973 wurde die Erknerstrecke regulär von der W befahren. Aber nach wie vor tauchte die Zuggruppe nicht im Kursbuch auf.
Ausbau Ost, Niedergang West (1972-1984)
Die siebziger Jahre brachten bei der S-Bahn in Ost und West sehr unterschiedliche Entwicklungen. Im Westnetz führten die seit dem Mauerbau anhaltenden extremen Fahrgastrückgänge im Sommer 1976 binnen eines Monats zu zwei drastischen Fahrplaneinschränkungen, bei denen der Verkehr in Nebenzeiten, vor allem im Spätverkehr stark reduziert wurde; zwei Streckenabschnitte (Spandau - Jungfernheide, Zehlendorf - Düppel) wurden nach 21 Uhr überhaupt nicht mehr befahren.
In den Folgejahren gab es weitere Kürzungen, aber der endgültige Kollaps erfolgte im September 1980. Nachdem die Bahn-Beschäftigten Westberlins in den Ausstand getreten waren, war der Verkehr im Westnetz (von den Zubringerstrecken zum Bahnhof Friedrichstraße abgesehen) zusammengebrochen. Die Reichsbahn nutzte diese Gelegenheit und nahm den Betrieb nur noch auf einem stark reduzierten Rumpfnetz wieder auf, welches aus den Nord- und Südstrecken (außer Wannseebahn), sowie der Stadtbahn mit der Wetzlarer Bahn bestand. Der Betrieb wurde mit nur noch drei Zuggruppen (N I, N II, S I) im 20-Minuten-Takt geführt und während es zwischen Friedrichstraße und Charlottenburg noch einen Spätverkehr gab, war auf dem restlichen Netz bereits um 21 Uhr Betriebsschluss.
Gänzlich anders war die Entwicklung im Osten. Hier brachten im August 1973 die Weltfestspiele der Jugend und Studenten der S-Bahn die wohl größten Kundenströme seit 1936. Während den Feierlichkeiten galt der Fahrplan der Hauptverkehrszeit für den gesamten Tag, d. h. alle Tages- und Einsatzzuggruppen wurden vorübergehend den Stammzuggruppen gleichgestellt. An Tagen mit Großveranstaltungen wurden ergänzend einige Zugläufe umgestellt, insbesondere verstärkte man den Abschnitt Alexanderplatz - Friedrichstraße von sonst 6 auf 8 Zuggruppen. Dies bereitete enorme Schwierigkeiten, da in Friedrichstraße nur am Bahnsteig gekehrt werden konnte (die vorhandene Kehranlage lag im Grenzgebiet und war selbst angesichts des zu bewältigenden Verkehrs nicht von den zuständigen Organen freigegeben worden). Die Lösung brachte folgendes Konzept: Der normale Triebwagenführer (Twf) verließ sein Fahrzeug am Bahnhof Marx-Engels-Platz. Dort stiegen an beiden Zugenden neue Twfs zu, der am Vorderende des Zugs fuhr diesen nach Friedrichstraße. Von dort fuhr nach unter zwei Minuten Aufenthaltszeit der andere Twf den Zug zurück nach Marx-Engels-Platz, wo der ursprüngliche Twf (der zwischendurch eine kleine Pause machen konnte) seinen Zug übernahm.
Unabhängig von den Festivitäten waren auch im Ostnetz Mitte der siebziger Jahre die Fahrgastzahlen angesichts der steigenden Motorisierung rückläufig, dann jedoch führte ab 1976 der Bau der Neubaugebiete Marzahn und Hohenschönhausen und der dorthin führenden S-Bahntrassen zu einer stark zunehmenden Verkehrsdichte auf der Ostbahn und der östlichen Stadtbahn.
Neue Hoffnung BVG? (1984-1990)
Am 9. Januar 1984 übernahm die BVG das Westberliner S-Bahnnetz. Dies führte zu einer Reihe von Verbesserungen (Benutzung von BVG-Fahrkarten, Spätverkehr, tagsüber 10-Minuten-Takt auf der Stadtbahn), brachte aber auch eine weitere Verkleinerung des betriebenen Netzes auf die jetzt voneinander komplett getrennten Strecken Friedrichstraße - Charlottenburg und Anhalter Bahnhof - Lichtenrade mit sich.
Noch am gleichen Tag führte die BVG erstmals in Berlin Liniennummern ein (S 2 und S 3), knapp einen Monat später verschwanden die bisherigen Zuggruppennamen ersatzlos, wobei die Funknamen beibehalten wurden. Innerhalb des nächsten Jahres wurden die Wetzlarer Bahn, die Nord-Süd- und die Nordbahn sowie die Wannseebahn (S 1) wieder in Betrieb genommen, alle drei wurden linienrein betrieben. Den Rest der achtziger Jahre beschränkte sich die BVG auf die (dringend notwendige) Sanierung der vorhandenen Strecken.
Eine Sonderstellung hatte der Abschnitt Friedrichstraße - Lehrter Stadtbahnhof inne, der weiterhin von der Reichsbahn betrieben wurde. Nachdem die BVG im Jahr 1988 den Funknamen der S 3 aufgrund von Verwechslungen am Bahnhof Nikolassee von "Saale" in "Cobra" (S 1 trug den Funknamen "Adler") geändert hatte, führte dies zu der etwas merkwürdigen Situation, dass eine Linie zwei verschiedene Funknamen trägt, da die Reichsbahn auf ihrem Streckenabschnitt auf dem alten Namen beharrte.
Unterdessen ging der Netzausbau im Osten weiter und erreichte Mitte '89 einen bis heute nicht wieder erreichten Höhepunkt mit 16 Zuggruppen zwischen Ostkreuz und Warschauer Straße. Nicht mehr darunter war die ominöse Zuggruppe W, diese war im Jahr 1986 in die beiden Zuggruppen B I und F I aufgeteilt worden, die dann endlich auch im Kursbuch verzeichnet waren.
Die Ereignisse des Herbstes 1989 und schließlich der 9. November brachten die Wende auch bei der S-Bahn. Im Westnetz explodierten förmlich über Nacht die Fahrgastzahlen, die Reichsbahn leistete Hilfe durch zusätzliche Fahrzeuge. Nur wenig später mussten im Ostnetz Fahrpläne eingeschränkt werden, da man nicht mehr über genügend Triebwagenführer verfügte.
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