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Die 1893 eröffnete Kremmener Bahn sollte gemäß den ersten Planungen erst ab 1931 mit der Stromschiene ausgerüstet werden [1]. Jedoch wurde dieses Bauvorhaben, wohl auch der Tatsache geschuldet, daß die Strecke während des Berufsverkehres eine der am stärksten frequentierten Vorortstrecken war, vorgezogen [2]. Die neu zu errichtende elektrische Streckenausrüstung profitierte ganz erheblich von den Erfahrungen der bisherigen Elektrisierung. Die bis dato für die Nordstrecken für die Stromeinspeisung verantwortlichen Unterwerke Pankow, Hermsdorf, Röntgental und Borgsdorf waren sogenannte Umformerwerke, d.h. die benötigte Energie wurde mittels rotierender Einanker-Umformer erzeugt. Da die Entwicklung von Gleichrichtern in der für die Streckenausrüstung erforderlichen Leistung in der Zwischenzeit weiter fortgeschritten war, baute man für die Kremmener Bahn in Tegel und Hennigsdorf je ein Gleichrichterwerk auf; aufgrund der daraus im laufenden Betrieb gewonnenen Erfahrungen verwendete man später nur noch Gleichrichter.
Speisebezirke der Unterwerke auf der Kremmener Bahn.
Repro aus: Verkehrstechnische Woche; Heft 16 vom 16. April 1930.
Die Gleichrichterwerke Tegel und Hennigsdorf dienten im Vorfeld der ab 1927/28 anstehenden Großen Elektrisierung aufgrund ihres Aufbaues, ihres architektonischen Aussehens und der nun neu verwendeten Technik als Vorstudien. Die beiden Werke sind zweigeschossige Bauten, in deren Erdgeschoß sich die Ölschalter, die 30 kV-Anlage und die Transformatoren befanden. Im Obergeschoß wurden die Gleichrichter, die Gleichstromschaltanlage und die 800-V-Anlage untergebracht. Da die neu verwendeten Gleichrichter leichter waren als die bisher verwendeten Umformer, konnte die Bauausführung dieser beiden Gleichrichterwerke anders gestaltet werden. Als sichtbares Beispiel hierfür dienen die Außenfassaden, die als Ziegelrohbau mit rotbunten Verblendern (Verblendmauerwerk) errichtet wurden.
Kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges brach am 27. April 1945 in ganz Berlin aufgrund der unterbrochenen Transportketten sowie den heftigen Kampfhandlungen die komplette Stromversorgung zusammen. Schon zwei Tage zuvor stellte die S-Bahn ihren Betrieb ein, der Verkehr ruhte auf vielen Strecken teilweise monatelang. Die Unterwerke Tegel und Hennigsdorf hatten keine größeren Schäden erlitten. Nachdem man am 11. Juni 1945 einen ersten Zugverkehr mit dampflokgeführten Zügen zwischen dem Stettiner Fernbhf* und Tegel wiederaufgenommen hatte, folgte am 13. August 1945 ein erster elektrischer Verkehr im 120-Minutentakt zwischen den beiden genannte Stationen. Am 16. September 1945 wurde Heiligensee wieder an das elektrische S-Bahnnetz angebunden. Da die Brücke über den Oder-Havel-Kanal in den letzten Kriegstagen zerstört wurde, konnte zwischen Hennigsdorf und Velten noch bis in den Sommer 1946 hinein nur ein Ersatzverkehr mit dampflokgeführten Zügen angeboten werden. Erst ab dem 6. Juli 1946 fuhr die S-Bahn nach erfolgter Reparatur der Kanalbrücke wieder bis nach Hennigsdorf und Velten. In den nachfolgenden Monaten und Jahren stabilisierte sich die Stromversorgung. Der nächste Einschnitt erfolgte am 13. August 1961 mit dem Bau der Mauer.
Nach der durchgeführten Streckentrennung zwischen Heiligensee und Stolpe Süd wurde zwischen Hennigsdorf und Velten ein Inselbetrieb für die nächsten 22 Jahre aufrechterhalten. Die dafür notwendige Infrastruktur war mit der vollfunktionsfähigen Triebwagenhalle in Velten sowie dem Hennigsdorfer Unterwerk gegeben. Da die Stromversorgung dieses Unterwerkes vorerst weiterhin über das Westberliner Unterwerk Tegel erfolgte, wies das DDR-Verkehrsministerium an, nach erfolgtem Anschluß an das öffentliche Hennigsdorfer Stromnetz die 30kV-Speisekabel zwischen Heiligensee und Hennigsdorf zu trennen. Die 30kV-Stromversorgung der weiter westlich gelegenen Nordbahn wurde nach dem Mauerbau über den Berliner Außenring (via Schönfließ) vom Schaltwerk Pankow aus bis nach Hohen Neuendorf neu verlegt. Um im Störungsfall weiterhin stabile Spannungsverhältnisse im Bereich Hohen Neuendorf gewährleisten zu können, entschloß sich die Deutsche Reichsbahn (DR) im Jahre 1966, vom Unterwerk Hennigsdorf aus entlang des Berliner Außenringes eine neue Kabeltrasse bis Hohen Neuendorf zu verlegen [4].
Stromschienenplan (Schönholz)—Reinickendorf—Eichbornstraße (Stand September 1978).
In den nachfolgenden Jahren wurden die elektrischen Anlagen der Unterwerke Hennigsdorf (1968-70) und Tegel (1971-75, hier mit Einsatz eines transportablen Unterwerkes) erneuert [5]. Da die Reichsbahn wie auch viele andere Betriebe der DDR unter einem stetigen Personalmangel litt, rüstete sie viele Schalt- und Unterwerke auf Fernbedienung, die durch die Schaltwarten Markgrafendamm und Halensee erfolgte, um. Einzig das Unterwerk Hennigsdorf blieb bis zur Außerbetriebnahme seiner Gleichstromanlage am 23. September 1983 weiterhin besetzt. Die Gründe hierfür:
Die 1966 bis nach Hohen Neuendorf verlegte 30kV-Leitung blieb auch nach der teilweisen Stillegung in Betrieb, das Personal wurde jedoch abgezogen. Die Reichsbahn baute im Frühjahr 1984 die Stromschienenanlage zwischen Hennigsdorf und Velten ab, diese wurde teilweise auf anderen Streckenabschnitten wiederverwendet.
Das in Hennigsdorf ansässige Kombinat VEB Lokomotivbau Elektromaschinenwerke 'Hans Beimler" (KLEW) begann 1987 mit der Produktion der Serienfahrzeuge der BR 270. Konnten deren Prototypen im Jahre 1980 ihre ersten Fahrten noch auf den damals sich in Betrieb befindlichen S-Bahngleisen unternehmen, so fehlte nun ein entsprechendes Testgleis. Eine Überführung auf andere Strecken war für das KLEW und die DR inakzeptabel und so entschloß man sich, das Streckengleis der Kremmener Bahn zwischen der Triebwagenhalle Velten und der Marwitzer Straße (nördlich des Bahnhofes Hennigsdorf) wieder mit einer Stromschienenanlage zu versehen. Die Stromeinspeisung sollte wieder über das Gleichrichterwerk (GUw) Hennigsdorf erfolgen, dazu wurde das GUw mittels eines Überleitvertrages an das KLEW übertragen. Dieser Überleitvertrag stellte ein Novum dar, da bis dato noch niemals ein Grundmittel der Deutschen Reichsbahn kostenlos an ein Unternehmen außerhalb der DR abgegeben worden war. Das KLEW wurde somit der Eigentümer des GUw und die DR hatte weiterhin das Recht zur Bahnstromversorgung des Berliner Nordbereiches über dieses Werk.
Probefahrt des 270 009 südlich des Haltepunktes Hennigsdorf Nord (22. Juli 1987).
Der Aufbau sowie die Instandhaltung der wiederbenötigten Stromschiene erfolgten im Auftrag des KLEW durch das S-Bahnstromwerk der Reichsbahn. Für den Wechselstrombetrieb im Bahnhof Hennigsdorf wurde einerseits die Gleichstromschaltanlage vom S-Bahnstromwerk umgerüstet und andererseits wurde eine galvanische Trennung von Wechsel- und Gleichstrom hergestellt. Das für das Unterwerk benötigte Personal wurde durch das KLEW von der DR übernommen. Der im Jahre 1989 bahnstromseitige Bau des separaten Testgleises erfolgte genauso wie bei dem bisher als Probegleis genutzten DR-Gleis [6]. Das Unterwerk gehört heute zu Bombardier Transportation. Es versorgt im Bedarfsfall nur das separate Testgleis.
Das Unterwerk Tegel blieb auch nach der Übertragung der Betriebsrechte an die Westberliner BVG und der damit verbundenen Betriebseinstellung am 9. Januar 1984 weiterhin in Betrieb. Ab August 1984 erfolgten zwischen dem Abzweig Tga und dem Bahnhof Tegel die Probefahrten der in der Waggon Union grundsanierten Viertelzüge der BR 275. Ab 1986 kamen zwischen beiden Stationen die Abnahmefahrten der damals neuen Baureihe 480 hinzu. Derzeitig wird das GUw Tegel auf eine neue platzsparendere Ausstattung umgerüstet.
Zur Stabilisierung der Stromversorgung sowie für einen Zehnminutentakt auf der Nordbahn stellte die BVG am südlichen Bahnsteigende des S-Bahnhofes Schönholz ein transportables Ponton-AEG-Unterwerk auf, das im Oktober 1985 in Betrieb genommen wurde [7]. Die auf der damaligen S-Bahnlinie 2 geplante Zugverdichtung konnte erstmals am 18. August 1986 mit der Verlängerung der Verstärkerzüge von Gesundbrunnen nach Wittenau (Nordbahn) durchgeführt werden [8]. Nach Beendigung der Streckensanierung der Nordbahn und deren Wiederinbetriebnahme übertrug am 22. Dezember 1986 die BVG den Zehnminutentakt auch auf den Abschnitt Wittenau (Nordbahn)—Frohnau [9].
Das von der BVG errichtete AEG-Container-Unterwerk am S-Bahnhof Schönholz (Winter 1985).
In den Jahren 2007/08 baute die DB AG östlich des Güterbahnhofes Schönholz ein neues Unterwerk auf. Zwischen Oktober und Dezember 2008 liefen beide Unterwerke zeitweise parallel, bevor das alte Containerwerk Ende des Jahres abgeschaltet wurde. Das neue GUw ist für den später einmal geplanten Zehnminutentakt zwischen Schönholz und Tegel räumlich entsprechend dimensioniert, sollte es zu einer Verdichtung des Zugangebotes kommen, würde die entsprechende Technik noch eingebaut werden müssen.
Da das 1926 erbaute Unterwerk Hennigsdorf für die Wiederinbetriebnahme des Streckenabschnittes Tegel—Hennigsdorf im Dezember 1998 nicht mehr zur Verfügung stand, mußte die Deutsche Bahn AG als Bauherr nun ein neues Unterwerk auf dem Gelände des ehemaligen Güterbahnhofes Heiligensee errichten. Dieses ging am 8. November 1998 in Betrieb und wird durch die Schaltwarte Halensee aus ferngesteuert.
Unmittelbar gegenüber dem Bahnsteig befindet sich das Unterwerk Heiligensee (2. April 2007).
Autor:
Mike Straschewski
Quellen und weiterführender Buchtipps:
Große Elektrisierung 1928 - 1929; Stiftung BSW, Freizeitgruppe Bahnstromanlagen S-Bahn, 2008
Vorsicht Hochspannung! Strom für den zügigen Großstadtverkehr; Berliner S-Bahn-Museum; Verlag GVE; 1999
Die bauliche Gestaltung der Reichsbahn-Unterwerke auf den nördlichen Berliner Vorortstrecken; Richard Brademann; Zentralblatt für den elektrischen Zugbetrieb
Die Gleichrichterwerke der Vorortstrecke Berlin – Velten; G.Gebauer; Zentralblatt für den elektrischen Zugbetrieb
[1] Schreiben: Elektrisierung der Berliner Stadt-, Ring- und Vorortbahnen, Besprechung am 2. April 1921 (Schriftstück vom 4. April 1921), Landesarchiv Berlin, A Rep 080 701
[2] Die Kremmener Bahn; Peter Bley; Verlag Neddermeyer; 2004
[3] Große Elektrisierung 1928 - 1929; Stiftung BSW, Freizeitgruppe Bahnstromanlagen S-Bahn, 2008; Seite 9
[4] Vorsicht Hochspannung! Strom für den >>zügigen<< Großstadtverkehr; Berliner S-Bahn-Museum; Verlag GVE; 1999
[5] ebenda
[6] Schreiben M. Lauchardt, ehemals Leiter S-Bahnstromwerk und jetziger Leiter der BSW-Gruppe "Bahnstromanlagen S-Bahn"
[7] Kurzmeldung; Berliner Verkehrsblätter; Heft 11/1985
[8] Kurzmeldung; Berliner Verkehrsblätter; Heft 9/1986
[9] Nach 41 Jahren wieder zweigleisig nach Frohnau; Jürgen Busse; Berliner Verkehrsblätter; Heft 2/1987
weiterführende Links:
S-Bahnstromgeschichten - Wie kommt der Strom zur S-Bahn?
www.kremmener-bahn.net
letzte Änderung:
22. Juni 2011
Veröffentlichung:
22. Juni 2011