Bild: Lehrter Stadtbahnhof


telegrafisches Kurzzeichen: Leh
eröffnet: 7. Februar 1882 (als Lehrter Bahnhof)
elektrischer Betrieb seit: 11. Juni 1928
Zugverkehr eingestellt: 22. Juni 2002
Abriß: 23. Juni - Juli 2002
Station lag an der Stadtbahn

Bellevue Friedrichstraße (Stadtbahn)

Dieser Bahnhof hat viel Geschichte erlebt und ist nun auch schon Vergangenheit. Noch während sich die Stadtbahn im Bau befand, schrieb man nur wenige Meter entfernt Eisenbahngeschichte: im Jahre 1879 präsentierte Werner von Siemens auf dem Gelände der Berliner Gewerbeausstellung die erste elektrische Eisenbahn. Die Stromzuführung erfolgte über die Schienen und man fuhr mit einer sagenhaften Geschwindigkeit von 7 Stundenkilometern über einen Rundkurs von 300 Metern.

Bild: erste Eisenbahn

Die erste elektrische Eisenbahn auf der Berliner Gewerbeausstellung 1879.

Als Lehrter Bahnhof eröffnete die Station am 7. Februar 1882 mit der gleichzeitigen Inbetriebnahme der Stadtbahn. Er lag quer über den Gleisen des Fernbahnhofs der Berlin-Lehrter Eisenbahn (daher leitete sich auch sein Name ab). Dessen Bahnhofshalle befand sich südlich der neuen Stadtbahntrasse. Weiter südwestlich zwischen Spree und Stadtbahnviadukt, westlich von der Paulstraße begrenzt, befand sich jahrzehntelang der Güterbahnhof "Berlin-Spreeufer". Die Zuführung von Güterzügen erfolgte über mehrere Gleise, die westlich am Fernbahnhof vorbeiführten. Und Geschichte wiederholt sich: an gleicher Stelle, wo der Lehrter Fernbahnhof stand, befinden sich unterirdisch und dadurch auch wieder unter der Stadtbahntrasse seit dem 28. Mai 2006 die Nordsüdgleise des neuen Berliner Hauptbahnhofes.

Zurück zum alten Bahnhof: die 129 Meter lange und 17,5 Meter breite Halle überdachte die beiden Gleise des damaligen Vorortverkehres. Anfänglich war eine Doppelhalle mit je einer Halle für den Vorort- und Fernverkehr konzipiert, ausgeführt wurde jedoch nur die für den Vorortverkehr. Vorbild hierfür war die Halle des Bahnhofes "Börse" (heute Hackescher Markt).
Der Haupteingang des Lehrter Stadtbahnhofes lag an der Invalidenstraße, zwei weitere Zugänge verbanden die Straße "Wilhelmufer" (heute Friedrich-List-Ufer) sowie den ehemaligen Lehrter Fernbahnhof mit der Station. Auf dem Bahnsteig befanden sich u.a. je ein Dienstraum für die Aufsicht und für Triebfahrzeugführer (erst ab Mitte der 1980er Jahre), ein Toilettenhäuschen und zwei Kioske.

Am 1. Mai 1911 erfolgte die Umbenennung in Lehrter Stadtbahnhof, den Namen behielt die Station bis zu ihrem Ende. Im Jahre 1912 erfolgten erste Sanierungsarbeiten. Die vier Gleise der Stadtbahn über dem Fernbahnhof befanden sich auf einer Eisenträgerkonstruktion, welche durch die Rauchgase der darunter verkehrenden Dampflokomotiven angegriffen waren. Man tauschte den Überbau gegen einen mit größerer Stützweite aus. Doch schon wenige Jahre später mußte der Stadtbahnhof erneut umgebaut werden: Grund waren u.a. wieder die angegriffene Substanz der Eisenkonstruktionen sowie die Absenkung der Fundamente - letzteres bedingt durch die zunehmende Erhöhung der Achslast bei den Dampflokomotiven sowie des sich absenkenden Untergrundes - der märkische Sand galt damals wie heute als schwieriger Bauuntergrund.

Diese Arbeiten fanden von April 1926 bis 1928 statt. Da sich die vier Stadtbahngleise auf jeweils einem eigenen Planum befanden, sanierte man immer ein Gleis nach dem anderen. Dazu errichtete man zwischen den Fernbahngleisen einen Behelfsbahnsteig, somit standen während der Bauarbeiten immer drei Gleise zur Verfügung, wobei beide Richtungen des Vorortverkehres (Charlottenburg bzw. Schlesischer Bahnhof) jederzeit bedient wurden. Die ersten Sanierungsarbeiten fanden im Bereich des Stadtbahngleises von Friedrichstraße nach Bellevue statt. Ein Jahr später, zum Fahrplanwechsel am 14. Mai 1927, wurde der zweigleisige Betrieb auf den Fernbahngleisen schon wieder aufgenommen. Die Bahnsteighalle blieb aufgrund ihres guten Zustandes erhalten und wurde umfassend saniert.
Eine Teilarbeit dieser Umbaumaßbnahme war die Höherlegung des Bahnsteiges und gleichzeitige Verlängerung auf 160 Meter. Somit schuf man für die ab dem 11. Juni 1928 im Rahmen der "Großen Elektrisierung" neu verkehrenden rotgelben Züge die nötigen Voraussetzungen.

Bild: Bahnhofsansicht 1937

Postkartenansicht des Lehrter Fernbahnhofes. Der Stadtbahnhof befindet sich in der Bildmitte hinter der Bahnsteighalle.
Diese Postkarte wurde uns freundlicherweise von Axel Mauruszat zur Verfügung gestellt.

Es folgte eine Blütezeit der Eisenbahn in Berlin: auf dem angrenzenden Fernbahnhof, der aufgrund seines Baustils als das "Schloß der Berliner Bahnhöfe" bezeichnet wurde, fuhren ab Dezember 1932 die legendären "Fliegenden Hamburger" - Diesel-Schnelltriebwagen mit 160 Stundenkilometern Höchstgeschwindigkeit gen Hamburg.

In diese goldene Eisenbahnzeit fiel die braune Ära der Nationalsozialisten:
Hitler, selbsternannter "Größter Feldherr aller Zeiten", plante in seinem Größenwahn mit seinem willfährigen Helfer Albert Speer den Umbau Berlins zur Welthauptstadt Germania. Danach sollte anstelle des Lehrter Stadt- und Fernbahnhofs die Station "Stadtkreuz" entstehen, die als Umsteigepunkt der Stadtbahn zu einer neu zu bauenden Nordsüdverbindung vorgesehen war. Aufgrund der Auswirkungen des zweiten Weltkrieges wurden nur einige wenige Vorarbeiten verwirklicht, die Kriegseinwirkungen beschädigten schon im November 1943 den Fernbahnhof sehr stark, der Fernverkehr musste eingeschränkt werden. Mitte April 1945 fährt dann auch die S-Bahn nicht mehr.

15. Oktober 1945: die ersten elektrischen S-Bahnzüge fahren, wenn auch zeitweise nur sporadisch, den Lehrter Stadtbahnhof wieder an. Es erfolgt der Wiederaufbau der zerstörten Infrastruktur. Die neuen Machtverhältnisse in Berlin und Deutschland enden in einem jahrelangen Kalten Krieg.
Auf die sich daraus beginnende Abgrenzung zwischen den Siegermächten muß auch die Deutsche Reichsbahn (DR) reagieren: Sie schränkt auf Weisung der sowjetischen Besatzungsmacht den Fernreiseverkehr zu allen Westberliner Fernbahnhöfen nach und nach ein. Den Lehrter Fernbahnhof erreichen schon seit Kriegsende keine Züge des Fernverkehres mehr, nur noch wenige Vorortzüge verkehren hier bis zu seiner endgültigen Schließung am 8. Oktober 1950 - dadurch sank auch das Fahrgastaufkommen bei der S-Bahn. Der Abriß des "Schlosses" dauerte vom Sommer 1957 bis in das Jahr 1959 hinein. Erhalten hingegen blieb der Güterbahnhof "Berlin-Spreeufer".

Bild: westliche Ausfahrt

Am westlichen Ende der Bahnhofshalle lagen bis weit in die 1990er Jahre die alten Gleise zum Güterbahnhof Berlin Spreeufer.

Mit dem Bau der Berliner Mauer am 13. August 1961 wird es dem Bahnhof vom Fahrgastaufkommen her noch ruhiger: die Station ist jetzt der letzte Bahnhof in Westberlin auf der Stadtbahn. Unmittelbar am östlichen Bahnsteigende, am Fuße der Station am Ufer des Humboldthafens, befand sich im Bahnkilometer 5,296 die neuerrichtete Staatsgrenze der DDR. Und auch hier schrieb man traurige Geschichte: am 24. August 1961 erschießen Transportpolizisten den 24-jährigen Günter Litfin, der durch den Humboldthafen nach Westberlin schwimmen wollte. Er ist damit der erste Mauertote.

Nach dem Bau der Mauer ging das Fahrgastaufkommen bei der S-Bahn in Westberlin durch den u.a. vom DGB ausgerufenen S-Bahnboykott dramatisch zurück, die Station verfiel immer mehr, die Deutsche Reichsbahn nahm nur noch notwendigste Reparaturen vor. Der Güterbahnhof Berlin-Spreeunfer war weiterhin in Betrieb, für die dort beschäftigten Lokpersonale gab es am östlichen Bahnsteigende einen Treppenabgang.

Nachdem am 9. Januar 1984 die BVG die Betriebsrechte der S-Bahn in Westberlin übernahm, bekam der Bahnhof eine Sonderfunktion: gemäß der geschlossenen Vereinbarung durften vom Lehrter Stadtbahnhof zum S-Bahnhof Friedrichstraße nur Personale der DR die S-Bahnzüge durch das Grenzgebiet fahren. Dazu schuf man den Dienstplan 12, in dem sorgfältig ausgewählte Triebfahrzeugführer (Tf) die Züge fuhren. Ihnen wurde am östlichen Bahnsteigende ein alter Kiosk als Aufenthaltsraum zur Verfügung gestellt. Der Kontakt zu den Westberliner Triebfahrzeugführern sollte auf das Notwendigste beschränkt sein, bis auf Ausnahmen hielt man sich jedoch nicht daran. Diese Personale fuhren die im Zehnminutentakt eintreffenden Züge der damaligen S-Bahnlinie 3 ("Saale") vom Lehrter Stadtbahnhof zum Bahnsteig B des Bahnhofes Friedrichstraße. Das änderte sich auch mit dem Fall der Mauer am 9. November 1989 nicht, diese Betriebsführung wurde erst Anfang 1990 aufgehoben.
Mit der Durchbindung der Stadtbahn am 2. Juli 1990 erfolgte dann wiederum ein Personalwechsel auf dem Lehrter Stadtbahnhof. Das galt aber nur für Züge, die von der BVG in Richtung Osten gefahren wurden. Der Grund hierfür waren zu aufwendige Ausbildungen der Westberliner Tf. Es gab nicht genug Personal bei der BVG um alle Züge mit kundigen Personal zu besetzen.

Bild: Sanierungsarbeiten

Zur Sanierung des Daches wurde zum Schutz der Fahrgäste und der Züge eine Schutzdecke eingezogen.

Noch einmal zurück in die Geschichte: 1987 feierte die Stadt Berlin ihr 750. Jubiläum. Dazu wurde unter der Regie der BVG, des Berliner Senats und der Verwaltung des ehemaligen Reichsbahnvermögens (VdeR) der Bahnhof in den Jahren 1986 bis 1987 grundlegend saniert. Bei laufendem Betrieb wurden folgende Arbeiten ausgeführt:

Die Arbeiten kosteten alles in allem ca. 10 Millionen D-Mark. Zusätzlich erhielt der Bahnhof im November 1986 einen kleinen Stellwerkstisch (das ehemalige Stellwerkbedienpult des U-Bahnhofes Zwickauer Damm) im Aufsichtsgebäude, aus der Aufsicht wurde nach entsprechender Qualifikation ein Fahrdienstleiter. Dieses kleine Stellwerk bediente im Notfall bzw. bei Bauarbeiten die Weichenverbindung westlich des Bahnhofes.

Nach dem Fall der Mauer und der neuen Bedeutung Berlins im europäischen Schienenverkehrsnetz plante nun die DR (und ihr Nachfolger, die Deutsche Bahn AG) wiederum an dieser Stelle einen Kreuzungsbahnhof für die Ost-West-Strecke und der noch zu erschaffenden Nord-Süd-Verbindung. In dem nachfolgenden Architektenwettbewerb setzte sich Meinhard von Gerkan mit seiner Idee eines europäischen Zentralbahnhofes durch. Jedoch war in dieser Vision kein Platz mehr für die altgediente Stadtbahnstation. Schon die DR setzte auf das Ende: bei der vom 17. Oktober 1994 bis zum 24. Mai 1998 stattfindenden umfangreichen Sanierung der Stadtbahn blieb der Fern- und S-Bahnbereich rund um den alten Bahnhof außen vor - hier wurde außer einigen signalmäßigen Anpassungsarbeiten nichts weiter gemacht.

Bild: Einfahrt von Bellevue

Einfahrt von Bellevue kommend: In wenigen Wochen beginnt die umfassende Sanierung der Stadtbahn, nur der hier zu sehende Bereich wird ausgespart werden.

Am 22. Juni 2002 wurde der alte Lehrter Stadtbahnhof außer Betrieb genommen. Nur wenige Meter weiter südlich ging schon einen Tag vorher sein gläserner Nachfolger, zumindest auf den Fernbahngleisen, in Betrieb. 120 Jahre, vier Monate und 15 Tage Berliner Eisenbahngeschichte waren damit unwiederbringlich auf dem Abstellgleis gelandet. Der alte Bahnhof wurde innerhalb von wenigen Tagen abgerissen, an ihn erinnert heute nichts mehr. In seiner ehemaligen Lage befindet sich heute der Nordzugang des Hauptbahnhofes.

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Bellevue Friedrichstraße (Stadtbahn)

Der neue Berliner Hauptbahnhof


Autor:
Mike Straschewski

Quellen und weiterführende Buchtipps:
Berlins S-Bahnhöfe; Jürgen Meyer-Kronthaler/Wolfgang Kramer, be.bra Verlag, 1998
Die Bauwerke der Berliner S-Bahn: Die Stadtbahn; H. Schmidt, E.-M. Eilhardt; Verlag Volker Spiess GmbH, 1984
Berlin Stadtbahn; Alfred Gottwaldt/Stefan Handke; Marion Hildebrand Verlag; 1998

weiterführende Links:
Eine umfangreiche Bilddokumentation über den Abriß und Neubau finden Sie hier.
Der Bahnhof bei Google Maps

Veröffentlichung:
26. Oktober 2008


letzte Änderung des Textes: 27. Oktober 2009

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