Die Kremmener Bahn

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58 Jahre nach der Eröffnung der Stammbahn nahm am 1. Oktober 1893 die Kremmener Bahn von Schönholz über Tegel, Hennigsdorf nach Velten ihren Betrieb auf. Zweieinhalb Monate später, am 20. Dezember 1893, erweiterte die Königliche Eisenbahndirektion (KED) den Verkehr auf den Streckenabschnitt Velten—Kremmen. Fast alle Züge der Kremmener Bahn fuhren vorerst ab dem provisorischen Personenbahnhof auf dem Güterbahnhof der Nordbahn ab und eine ganz geringe Zahl der Züge ab dem Stettiner Bahnhof. Erst ab 1. Februar 1898 waren alle Reisezüge der Nordbahn und der Kremmener Bahn im Stettiner Bahnhof zusammengefasst. Die Züge nutzten dabei die Gleise der Nordbahn bis Schönholz, nördlich der Station zweigte die als eingleisige Nebenbahn konzipierte Strecke in Richtung Westen ab und führte über Velten nach Kremmen.

Die wenigen Personenzüge aus der Anfangszeit (18 Züge am Tag, neun in jede Richtung) waren nach kurzer Zeit dem regen Zuwachs der Reisenden nicht mehr gewachsen. Mit der Gründung der Borsigwerke in Tegel im Jahre 1895 nahm neben dem Personen- auch der Güterverkehr immer mehr zu. Und so sah sich die KED über die Jahre hinweg gezwungen, ihre Fahrpläne stetig zu verbessern. Um die zusätzlichen Züge (Personenzüge 1897: 28 Züge am Tag, 14 in jede Richtung) stabil in den Streckenfahrplan mit einlegen zu können und auch weitere Zugkreuzungen zu ermöglichen, errichtete sie zwischen Reinickendorf und Dalldorf ein zweites Gleis, dieses ging Mitte August 1899 in Betrieb.

Bild: Ansichtskarte ca. 1920

Das Empfangsgebäude auf einer alten Ansichtskarte um 1920).
Diese Postkarte wurde uns freundlicherweise von Axel Mauruszat zur Verfügung gestellt.

Der Bahnhof Velten erhielt am 1. Oktober 1904 einen Anschluß an die Strecke Velten—Bötzow (—Nauen) der Osthavelländischen Kreisbahnen. Im Jahre 1905 begann die Höherlegung der Kremmener Bahn. Aufgrund der gewachsenen Verkehrsaufgaben erhielt diese dabei zwischen Schönholz und dem Abzweig Tegeler Gabelung (Abzweig Tga) drei Gleise, ab dort wurde sie zweigleisig bis Tegel ausgebaut; dessen Güterbahnhof wurde erweitert. Ab November 1908 unterquerte nördlich der Station in Höhe des Nordgrabens die Industriebahn Tegel—Friedrichsfelde die Bahngleise der Kremmener Bahn, dabei wurde auch das Verbindungsgleis zwischen dem Bahnhof Tegel mit dem Tegeler Hafen mit aufgebaut. Im Jahre 1910 erhielt die Strecke zwischen Schönholz und Velten den Status einer Hauptbahn. Im selben Jahr kaufte die damalige AEG ein ca. 770 000 m² großes Gelände, auf dem sie im Jahr darauf erst ihre Porzellanfabrik und später weitere Betriebszweige ansiedelte [1].

Der weitere wirtschaftliche Aufschwung zwang die KED zu einem zweigleisigen Ausbau der Strecke von Tegel bis Velten. Ende der 1920er Jahre verfolgte man die Idee, die S-Bahn von der Siemensbahn über ihren (provisorischen) Endbahnhof Gartenfeld hinaus nach Hennigsdorf zu verlängern. Aufgrund der kurz darauf einsetzenden Weltwirtschaftskrise wurde jedoch diese Idee nicht weiterverfolgt [20].

Apropos Strecke: Neben ihren bis zur Jahrhundertwende entstandenen acht Bahnhöfen gab es desweiteren auch noch drei weitere interessante Betriebsstellen, auf die an dieser Stelle kurz eingegangen werden soll.

  • Abzweigstelle Tga: diese befand sich etwa auf halbem Weg nach Reinickendorf. Das Stellwerk, das sich in Höhe der Brücke Kopenhagener Straße befand, war vom 1. Oktober 1905 bis (wahrscheinlich) zum Spätsommer 1984 in Betrieb, seine Ruine wurde erst Ende März/Anfang April 2001 entfernt [8]. Die Abzweigstelle vereinigte anfangs die drei von Schönholz ankommenden Gleise (2x S-Bahn, 1x Fernbahn) zu einer zweigleisigen Strecke. Nach dem nach dem Kriegsende 1945 erfolgten Abbau des Streckengleises Velten—Schönholz wurden nur noch die verbliebenen zwei Gleise unmittelbar vor der Blockstelle zusammengefasst. Heute ist an dieser Stelle der Güter- vom S-Bahnverkehr getrennt, das heute vorhandene S-Bahngleis schwenkt jetzt hier auf die Trasse des seit 1945 abgebauten Streckengleises von Reinickendorf nach Schönholz, während der Güterverkehr ab hier in beiden Richtungen das ehemalige S-Bahn-Streckengleis von Schönholz nach Reinickendorf nutzt.
  • Blockstelle Tegelgrund: sie befand sich auf halbem Weg zwischen Tegel und Schulzendorf in Höhe der Ruppiner Chaussee. Ihr Inbetriebnahmedatum, damals als Block 8, ist unklar, es liegt zwischen 1924 und 1931. Der bis Anfang der 1950er Jahre stattfindende Güterverkehr durch Westberlin hindurch sorgte für ein höheres Zugaufkommen, so daß die Blockstelle vorerst weiter gebraucht wurde. Die vom 18. Mai 1953 bis zum 3. Mai 1958 verkehrenden Durchläuferzüge sorgten zumindest in den wenigen Stunden ihres Verkehrens für weitere Arbeit. Mit der Aufgabe dieser Sonderzüge verlor die Blockstelle endgültig ihre Bedeutung, sie wurde am 16. Februar 1959 aufgegeben [9].
  • Blockstelle Jägerberg: sie lag zwischen den späteren Haltepunkten Hennigsdorf Nord und Hohenschöpping. Die Inbetriebnahme war wahrscheinlich im Jahre 1910, damals als Block 12 bezeichnet. Ab dem 12. April 1966 setzte die Reichsbahn in den Zeiten des Berufsverkehres zwischen Hennigsdorf und Hennigsdorf Nord einen zweiten Umlauf ein. Dieser Pendelzug konnte nur verkehren, wenn sich der reguläre erste Umlauf nördlich der Blockstelle Jägerberg befand. Dieser etwas außergewöhnliche Verstärkerverkehr endete am 28. September 1969. Die Blockstelle wurde am 28. Juni 1973 außer Betrieb genommen, das eigentliche Stellwerksgebäude schon in den 1970er Jahren abgerissen. Im Sommer 2008 wurde das zuvor von der DB verkaufte ehemalige Wohngebäude saniert [19].

Elektrischer Neubeginn und Ausbaupläne

Nach den anfänglichen Plänen sollte die Strecke erst ab 1931 mit der Stromschiene ausgerüstet werden [2]. Jedoch wurde dieses Bauvorhaben, wohl auch der Tatsache geschuldet, daß die Strecke während des Berufsverkehres eine der am stärksten frequentierten Vorortstrecken war, vorgezogen [3]. Schon im Frühjahr 1926 begannen die entsprechenden Bauarbeiten und Mitte Januar 1927 war die gesamte neue elektrische Anlage betriebsbereit. Die Einschaltung der Stromschiene zwischen Schönholz und Velten erfolgte am 28. Januar 1927. Somit konnten Anfang März die ersten Probefahrten beginnen. Zwei Wochen später, am 16. März, nahm die Deutsche Reichsbahn-Gesellschaft (DRG) den elektrischen Betrieb mit vorerst vier Halbzügen auf [4]. Eine weitere Elektrisierung nach Kremmen sah man aufgrund der geringeren Fahrgastzahlen als nicht wirtschaftlich an.

Die Fahrten mit den dampflokbespannten Vorortzügen verringerten sich im Laufe der nachfolgenden Monate nach und nach, so daß die Strecke ab November 1928 nur noch mit elektrischer Traktion befahren wurde [5]. Anfänglich kamen auf der Kremmener Bahn neben den Zügen der Bauarten 1924 und 1925 auch die Versuchszüge zum Einsatz. Ein Schreiben der DRG sah vor, daß ab dem 4. Dezember 1928 keiner der Versuchszüge mehr im planmäßigen Zugbetrieb die Nordstrecken befahren sollte. Nur noch in Sonderfällen wie z.B. große Ausflugstage (Sommersonntage usw.) sah man ihre Einsätze vor. Schon vierzehn Tage später war diese Regelung obsolet: Mit Schreiben vom 18. Dezember 1928 wies die DRG an, die Versuchszüge in die Umläufe 22, 25 und 29 im Arbeiterberufsverkehr auf der Veltener Strecke einzusetzen [6]. In diesen Fahrplänen zog sich ihr Einsatz noch über ein Jahr hin. Das veranlaßte eine Zeitung, sich mit den Fahrzeugen in dem nachfolgenden Artikel zu beschäftigen:

Der zugige Zug
Seit Wochen kommen von allen Seiten Beschwerden über die erbärmlichen Wagen der Vorortstrecke Berlin-Tegel-Velten. Die Reichsbahn ist, wie man beobachten kann, dazu übergegangen, die allerältesten Wagen, die seinerzeit als Versuchswagen ausprobiert wurden, auf dieser Strecke verkehren zu lassen. Diesen alten "Blechschachteln" haften derartige Mängel an, daß das Fahren in diesen Zügen zu einer wahren Plage wird. Kein Fenster schließt; überall weht frische Luft durch, und wenn wir auch jetzt noch keine allzu niedrige Temperatur haben, so genügt doch schon eine einzige Fahrt auf der Vorortbahn Berlin-Tegel, um sich gründlich das Reißen zu holen. Die Sitze der Wagen 2.Klasse sind hart; nur ein dünner Stoffüberzug deutet an, daß man mehr zu zahlen hat als in der 3.Klasse. Wir empfehlen der Reichsbahn, diese Wagen einmal zur Abwechselung auf einer westlichen Vorortstrecke verkehren zu lassen, damit die Direktoren der Reichsbahn auch mal Gelegenheit haben, sich von der "hervorragenden" Güte ihrer Wagen zu überzeugen. Es ist mit Sicherheit anzunehmen, daß dann die Wagen nur einen Tag verkehrten [7].

Mit der im Jahre 1936 erfolgten Neuinbetriebnahme des Nordsüd-S-Bahntunnels sah die DRG vor, die Züge der Nordstrecken in den Tunnel einzuführen. Dafür mußte sie u.a. auch die Fahrpläne anpassen. Und so löste ab dem 15. Mai 1936 ein neu eingeführter 20-Minutentakt den bis dato gefahrenen 30-Minutentakt zwischen Schönholz und Velten ab. Die mittlerweile herrschenden Nationalsozialisten sahen für die Kremmener Bahn im Rahmen ihrer Umbaupläne Berlins zur Welthauptstadt Germania die Trennung von S- und Fernbahn mit einem dreigleisigen Endzustand vor. Zwei Gleise waren hierbei für die S-Bahn vorgesehen, der Fernbahn wäre weiterhin nur ein Gleis verblieben [11]. Zudem sollte die S-Bahn von Velten bis nach Kremmen nach erfolgtem zweigleisigem Ausbau weitergeführt werden.

Da das selbsternannte Tausendjährige Reich, nachdem es viel Leid über die Völker der Welt gebracht hatte, nach zwölf Jahren schon wieder am Ende war, kam es auf der Kremmener Bahn zu keinen größeren Bauausführungen. Kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges mußte die S-Bahn aufgrund der näherkommenden Kampfhandlungen sowie der ständig auftretenden Stromausfälle ihre Verkehre immer wieder einstellen, bis es spätestens am 25. April 1945 hieß: Komplette Nullspannung im S-Bahn-Stromnetz, nichts geht mehr!

Nach dem Ende des Krieges wurde Berlin vorerst durch die Rote Armee besetzt. Deutschland sollte gemäß den Konferenzen in Teheran und in Jalta in drei Zonen geteilt werden. Frankreich kam erst während der Potsdamer Konferenz als Vierter hinzu. Gemäß diesem Abkommens war die Aufteilung der Stadt in vier Sektoren vorgesehen. Die wenigen Wochen bis zum Einzug der amerikanischen, britischen und französischen Alliierten im Juli 1945 nutzte die am stärksten von Kriegseinwirkungen betroffene Sowjetunion, um aus dem zerstörten Berlin für sie wichtige Reparationsleistungen herauszuholen. Auf der Kremmener Bahn verschwand somit zwischen Schönholz und der Blockstelle Jägerberg das südliche bzw. westliche und zwischen Jägerberg und Velten das östliche Streckengleis. Davon hat sich die Strecke bis heute nicht mehr erholt. Die Deutsche Reichsbahn konnte einen ersten, eher sporadischen Zugverkehr, das waren einige wenige Personenwagen, die von einer Dampflok gezogen wurden, erst wieder ab dem 11. Juni 1945 zwischen dem Stettiner Fernbahnhof und Tegel anbieten. In den nachfolgenden Wochen baute sie die Stromversorgung wieder auf, so daß ab dem 19. Juli 1945 die elektrischen Züge, wenn auch manchmal nur für wenige Stunden am Tag, verkehren konnten.

Bild: Empfangsgebäude Hennigsdorf

Wahrscheinlich im Jahre 1960 ersetzte dieses Empfangsgebäude die sich bis dato hier befindliche Fahrkartenbude.
Heute steht hier ein moderner Neubau (um 1982).

Ende der 1940er Jahre plante die Reichsbahn einen Streckenneubau zwischen Velten und Eden, der dort in die bestehende Strecke nach Oranienburg einmünden sollte. Im Sommer 1949 rief der Landrat zu einem freiwilligen Arbeitseinsatz auf, und die Menschen kamen und halfen bei Aufbau. Jedoch mußte man im Frühjahr 1950 Abstand von der ursprünglichen Streckenplanung nehmen, da die Tragfähigkeit des Untergrundes für die späteren schweren Güterzüge nicht gegeben war. Ein Teil der geleisteten Aufbaustunden waren somit umsonst erbracht worden. Nachdem man eine neue Streckenführung auserkoren hatte, begannen im Juni 1950 erneute Bauarbeiten. Die Inbetriebnahme der knapp neun Kilometer langen Bahnlinie datiert auf den 25. Februar 1951. Einen Tag zuvor wurde in Velten der Streckenneubau feierlich übergeben. Nach nur 18 Jahren Betriebszeit wurde der Verkehr am 31. Mai 1969 wieder eingestellt. Schon fünf Jahre zuvor, am 31. Mai 1964, wurde der Gesamtverkehr auf der im Jahre 1904 in den Bahnhof Velten eingeführten Bötzower Strecke eingestellt [21].

Ende der 1950er Jahre sahen Pläne des Ministeriums für Verkehrswesen der DDR und der Reichsbahndirektion Berlin vor, die Stromversorgung der S-Bahn von 750 Volt auf 1 500 Volt umzustellen. Für die erste Erprobung war zunächst ein Versuchsbetrieb auf einer Ringlinie Potsdam—Ferch-Lienewitz—Michendorf—Drewitz—Potsdam vorgesehen. Nach dem Mauerbau wurden diese Pläne obsolet, erst 1969 stellte die Reichsbahndirektion Berlin einen erneuten Entwurf vor, der nun als Versuchsstrecke die S-Bahngleise zwischen Hennigsdorf und Velten vorsah. Doch auch hier kam es nie zu einer Ausführung [21].


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