Die Berliner Stadtbahnstrecke ist nicht nur wegen ihrer Viaduktbögen die erste ihrer Art in Europa, sie war von Anfang an auch die bedeutendste Verkehrsader zur Entwicklung der Stadt. Auf ehemals 731 gemauerten Bögen durchquert(e) sie die Stadt von Ost nach West. Für sie wurde der Königsgraben zugeschüttet, Dämme errichtet, Brücken gebaut. Auch heute noch ist sie eine der wichtigsten Verkehrsadern in Berlin.
Der Begriff der Stadtbahn stammt vom Namen Berliner Stadt-Eisenbahn ab. Er wurde erstmals 1870 (zwölf Jahre vor Inbetriebnahme) verwendet.
Der Begriff Berliner Stadtbahn hat verschiedene Bedeutungen:
Der Begriff "Stadtbahn" steht jedoch nicht für die Bezeichnung S-Bahn. In anderen Orten ist der Begriff Stadtbahn andersweitig definiert. [1]
Im Jahre 1873 gründete sich eine private Aktiengesellschaft, deren Zweck der Bau der Strecke war. 1875 begannen die ersten Bauarbeiten, die jedoch nur langsam vorankamen. Um weiteren Verzögerungen entgegenzutreten, übernahm 1878 der Staat die Aktiengesellschaft, bis dato waren erst 2.800 Meter Strecke fertiggestellt.
Am 29. Dezember 1881 fand die erste Probefahrt auf der Stadtbahn statt, nach mehrwöchigen Testfahrten eröffnete Kaiser Wilhelm I. am 6. Februar 1882 die Strecke. Einen Tag später wurde die 12 Kilometer lange Stadtbahn zwischen Schlesischen Bahnhof (heute Ostbahnhof) und Charlottenburg dem Localverkehr übergeben. Gleichzeitig gingen die folgenden, von der Stadtbahn abzweigenden Strecken in Betrieb:
Der Fernverkehr, der bis heute die beiden südlichen Gleise (Gleis 1 und 2) benutzt, folgte am 15. Mai 1882. Mit diesem Tag wurden die abzweigenden Strecken Charlottenburg - Halensee und Abzweig Vsr - Ostkreuz in Betrieb genommen.
Mit der Inbetriebnahme der Stadtbahn wurden folgende Bauformen übergeben:
Mit Betriebsbeginn am 7. Februar 1882 verkehrten die folgenden Zugläufe: [2]
Viadukt am Bahnhof Friedrichstraße.
Repro aus: Berlin und seine Bauten 1896
Schon im Eröffnungsjahr fuhren die Züge zu Zeiten des Berufsverkehres im Zehn-Minutentakt. Im November 1882 mussten die Zugläufe in ihrer Dichte und Relation angepasst werden. Zum Winterfahrplan 1927/28, dem letzten reinen Dampffahrplan vor der "Großen Elektrisierung", fuhren 625 Züge über die Stadtbahngleise des Vorortverkehres. Anfangs konnten die Züge einander nur im Stationsabstand folgen, da sich die entsprechenden Signale nur an den Enden der Bahnsteige befanden. Um die Zugzahlen zu erhöhen, wurden zwischen 1889 und 1892 sechs weitere Blockstellen errichtet. Dadurch konnte ein Fünfminutentakt erreicht werden. Im Jahr 1896 schließlich setzte man weitere zusätzliche Signale an die Bahnsteigeinfahrten, was wiederum die Zugfolge verkürzte [2].
Betrug die zulässige Streckenhöchstgeschwindigkeit anfangs 45 km/h, wurde sie später auf 55 km/h angehoben. Derzeitig beträgt sie 60 km/h.
Am 3. Mai 1886 eröffnete nahe des Bahnhofes Alexanderplatz die Zentral-Markthalle, die mit 1.586 Verkaufsständen [3] auf drei Etagen Berlins größte Markthalle war.
Am 11. Juni 1928 hielt auf der Stadtbahn die elektrische S-Bahn ihren Einzug: im Rahmen der "Großen Elektrisierung" wurden auch die neuen Züge der Bauart Stadtbahn eingeführt. Da das alte Signalsystem mit den Formsignalen aufgrund der Handhabung für den neuen und schnelleren Verkehr zu langsam war, ging in mehreren Etappen zwischen dem 15. März und dem 1. Juni 1928 der erste automatische Streckenblock mit Sv-Signalen in Betrieb [4].
Knappe fünf Jahre später waren die Nationalsozialisten an der Macht. Im Rahmen der geplanten Umgestaltung Berlins zur Welthauptstadt Germania sah man eine Fern-S-Bahn vor. Diese besondere Betriebsform sollte die Fahrgäste aus den Vororten schneller in die Innenstadt bringen. Die auf den Außenstrecken bis zu 120 km/h schnellen Züge hätten im Stadtbereich von Berlin nur wenige Stationen bedient (analog den Bankierzügen). Für diese schnelleren Verkehrsmittel war u.a. auch die Stadtbahn vorgesehen. Dazu hätte jedoch der Fernverkehr von der Strecke verbannt werden müssen. Die normale S-Bahn wäre auf die beiden Innengleise 2 (neue Fahrtrichtung dann: Westkreuz - Schlesischer Bahnhof) und 3 (Schlesischer Bahnhof - Westkreuz) gewechselt. Die Fern-S-Bahn wäre vom Schlesischer Bahnhof nach Westkreuz auf dem S-Bahn-Streckengleis 4 gefahren, in umgekehrter Richtung auf dem dann ehemaligen Fernbahngleis 1.
An größeren Bahnhöfen hätten dann zwei Bahnsteige (analog dem Bahnhof Alexanderplatz) bestanden, so daß ein Fahrgastwechsel zwischen der normalen und der Fern-S-Bahn möglich gewesen wäre (Umsteigen am gleichen Bahnsteig). Auf anderen Stationen (z.B. Jannowitzbrücke) hätte ein neuer Mittelbahnsteig zwischen den Gleisen 2 und 3 neu gebaut werden müssen. Die Fern-S-Bahn wäre dort in beiden Richtungen vorbeigefahren [5].
Kriegschäden am Bahnhof Alexanderplatz.
In der Halle gibt es keine Glasscheiben mehr, die Bahnsteigbeleuchtung ist ebenfalls hinüber.
Rechts im Bild der Gleisanschluß zur Zentralmarkthalle Alexanderplatz (1945).
Durch die Rückkehr des Zweiten Weltkrieges an seinen Ursprungsort kam es jedoch nicht mehr zu einer Ausführung dieser Planungen. Durch die stetigen Bombenangriffe und die im April/Mai 1945 stattfindenden Kampfhandlungen litt auch der S-Bahnverkehr auf der Stadtbahn. Aufgrund der vorrückenden Truppen der Roten Armee wurde der S-Bahnverkehr gerade auf den östlichen Strecken als erstes eingestellt. Am 25. April 1945 stellte die Deutsche Reichsbahn (DR) den S-Bahnverkehr berlinweit ein, zwei Tage später brach die Stromversorgung endgültig zusammen: Nullspannung!
Nach der deutschen Kapitulation ging es ans Aufräumen: schwere Bombenschäden verhinderten teilweise nach Kriegsende ein schnelle Wiederinbetriebnahme der Stadtbahn. Erst am 6. September 1945 fuhren die ersten Züge wieder zwischen Charlottenburg und Tiergarten. Am 15. November 1945 konnte man erstmals wieder die gesamte Stadtbahn durchqueren, jedoch mit Umsteigen in Zoologischer Garten, Bellevue, Friedrichstraße, Alexanderplatz und Ostkreuz, da der Streckenzustand noch keinen durchgehenden Zugverkehr zuließ.
In den nachfolgenden Jahren reparierte die DR Anlagen, Gleise und Bahnhöfe. Diese Arbeiten zogen sich bis in die 1950er Jahre hinein. Aufgrund der damals hohen Priorität der Stadtbahn für die Mobilität der Berliner und Brandenburger (es gab nur einen bescheidenen motorisierten Individualverkehr) unterblieb jedoch eine durchgreifende Komplettsanierung der Viaduktstrecke.
Das Deutschland der Nachkriegszeit wird aufgrund unterschiedlicher Ansichten zum Spielball der Siegermächte - der Kalte Krieg zwischen den ehemals Verbündeten beginnt. Darunter leidet auch die Berliner S-Bahn: zusätzlliche Kontrollaufenthalte verlängern nicht nur die Fahrzeiten, zum Fahrplanwechsel am 17. Mai 1953 setzt sie erstmals auf der Stadtbahn die Durchläuferzüge ein, die zwischen den Bahnhöfen Griebnitzsee und Friedrichstraße bzw. Falkensee und Friedrichstraße nicht hielten.
Ein festlich geschmückter Alexanderplatz kündet von den Weltfestspielen 1951.
Bei der Bahnsteighalle im Hintergrund wurden die schwersten Schäden behoben.
Der nächste größere Einschnitt erfolgt mit dem Mauerbau am 13. August 1961: Für die nächsten knapp 29 Jahre wird der durchgehende Zugverkehr zwischen Friedrichstraße und dem Lehrter Stadtbahnhof unterbrochen. Die Züge aus Richtung Osten enden nun in Friedrichstraße am Bahnsteig C, die Züge aus Richtung Westen am Bahnsteig B. Im Laufe der Jahre wurde zwischen diesen beiden Bahnsteigen eine Stahlschutzwand aufgebaut. Hinter dem Bahnsteig C bestand in westlicher Richtung bis in das Jahr 1990 hinein eine so genannte Notkehranlage. Diese durfte jedoch nur mit Zustimmung des diensthabenden Grenztruppenkommandeurs befahren werden. Für Züge, die zwischen beiden Stadthälften überführt werden mussten, befand sich im östlichen Gleisvorfeld eine Weichenverbindung von den S-Bahngleisen zum Fernbahnsteig A. Für die hier notwendigen Fahrten bedurfte es ebenfalls der Zustimmung des genannten Kommandanten. Auch musste der benötigte Fahrstrom gesondert zugeschaltet werden.
Während auf dem östlichen Teil der Stadtbahn das "Leben tobte" - hier fuhren in der Hauptverkehrszeit sechs Zuggruppen den Bahnhof Friedrichstraße an - verlor die S-Bahn auf dem westlichen Teil durch den anhaltenden S-Bahnboykott immer mehr Fahrgäste. Auf den dazugehörigen Bahnhöfen verfiel die Substanz immer weiter, der DR fehlten die dafür benötigten Devisen und Mittel.
Am 9. Januar 1984 ging die Betriebsführung der Westberliner S-Bahn an die Berliner Verkehrs-Betriebe (BVG) über. Die DR war nun nicht mehr für die Fahrzeuge, Bahnhöfe und Strecken zuständig - mit einer Ausnahme: für den Streckenabschnitt Lehrter Stadtbahnhof - Friedrichstraße stellte sie die Triebfahrzeugführer, die die Züge durch das Grenzgebiet steuerten.
Aufgrund fehlender bzw. schwer zu beschaffender Ersatzteile wurde Mitte der 1980er Jahre auf der östlichen Stadtbahn das alte Sv-Signalsystem der Bauart VES 1928 gegen das neue Hl-Signalsystem (Bauform AB 70S) ausgetauscht. Diese neuen Signalanlagen gingen wie folgt in Betrieb:
Zwischen Lehrter Stadtbahnhof und Bellevue:
Blick von Lüneburger Straße auf einen Signalausleger mit ausgekreuzten Form-Blocksignal (14. Dezember 1983).
Der Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989 stellte in den nachfolgenden Tagen und Wochen an die Stadtbahn, Bahnhöfe, Fahrzeuge und Personal hohe Anforderungen, erst im Januar 1990 pendelte sich der Fahrgastverkehr wieder auf ein "erträgliches" Maß ein. Bald darauf begannen die Bauarbeiten zum Lückenschluß am Bahnhof Friedrichstraße, hier sollte als erstes wieder verbunden werden, was fast 29 Jahre getrennt war. Am 2. Juli 1990 war es dann soweit: um 3:49 Uhr fährt der erste durchgehende planmäßige S-Bahnzug vom Bahnhof Friedrichstraße zum Lehrter Stadtbahnhof.
Neue Zeiten erfordern neue (alte) Wege: Ein Großteil der Linien werden von Ost nach West und umgekehrt durchgebunden, das Enden von weiteren S-Bahnlinien auf dem Bahnhof Friedrichstraße wird eingeschränkt bzw. aufgegeben. Nach der deutschen Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 planen die DR, BVG, der Berliner Senat sowie der Bund die umfassende Modernisierung der Berliner Bahnanlagen. Wie zuvor auf dem östlichen Teil der Stadtbahn waren auch auf dem westlichen Teil die alten Sv-Signalanlagen marode. Nachdem SIEMENS und die DR neue Signale des Ks-Systems aufgestellt hatten, ging am 30. April 1993 das erste elektronische Stellwerk der S-Bahn zwischen dem Lehrter Stadtbahnhof und Westkreuz in Betrieb.
Auch die Stadtbahn brauchte dringend eine Auffrischung: Nach über 113 Jahren Betrieb und 72 Jahre nach der letzten umfassenden Sanierung ging es am 17. Oktober 1994 los: zwischen Hauptbahnhof (a) und Zoologischer Garten (a) fand die umfassendste Sanierung seit Bestehen der Viaduktstrecke statt. Um den S-Bahnverkehr weiterhin zu gewährleisten, wurde die Fernbahn stillgelegt - deren Züge endeten nun in den Bahnhöfen Hauptbahnhof und Zoologischer Garten. Die S-Bahn fuhr nun auf den mit Stromschienen nachgerüsteten Fernbahngleisen, ohne Halt an den Bahnhöfen Jannowitzbrücke, Hackescher Markt (hier ohne Halt nur in Richtung Westen), Bellevue und Tiergarten.
Die Gleise der Stadtbahn östlich des S-Bahnhofes Bellevue (24. September 2007).
Erstmals wurden die Gleise nicht in Schotter gebettet, sondern als feste Fahrbahn aufgebaut. Die Sicherungs- und Signaltechnik wurde nun komplett mit den neuen Kombinationssignalen ausgestattet, die zuständigen Fahrdienstleiter sitzen seitdem in der Betriebszentrale in Westkreuz. Alle Bahnhöfe (außer Lehrter Stadtbahnhof) sowie deren Bahnsteige erfuhren eine umfassende Sanierung.
Nachdem die S-Bahn wieder ab dem 21. Oktober 1996 auf ihrer alten Gleislage fuhr, begann die Sanierung der Fernbahn. Bis zum 24. Mai 1998 wurden auch hier die Gleise, Signalanlagen und Bahnsteige modernisiert. Der zweite Teil der Stadtbahnsanierung begann am 24. Februar 2003 - hier fanden ebenfalls umfangreiche Arbeiten zwischen den Bahnhöfen Zoologischer Garten und Charlottenburg statt. Jedoch verzichtete man hier auf den Einbau einer festen Fahrbahn, die Gleise liegen in einer herkömmlichen Schotterbettung. Neben dem Neueinbau der elektronischen Stellwerkstechnik modernisierte man auch den Bahnhof Savignyplatz. Im Bahnhof Charlottenburg begann man mit der Verlegung der S-Bahnsteige in Richtung Zoologischer Garten (sogenanntes Umklappen der Bahnsteige). Für die Fahrgäste richtete man einen Schienenersatzverkehr mit Bussen ein. Die Bauarbeiten wurden am 19. April 2004 beendet.
Der dritte Teil der Sanierungsarbeiten auf den so genannten verlängerten Stadtbahngleisen zwischen Charlottenburg und Westkreuz (-Grunewald) fand von 2004 bis zum 24. April 2006 statt. Dabei wurden die folgende Arbeiten durchgeführt:
Der Abschluß aller Bauarbeiten zur umfassendsten Sanierung der Berliner Stadtbahn fand im Jahre 2006 statt. Die alte Dame Stadtbahn ist somit gut für die nächsten Jahrzehnte gerüstet.
Zur Stadtbahn gehören die folgenden Bahnhöfe
Autor:
Mike Straschewski
Quellen und weiterführende Buchtipps:
[1] 100 Jahre Berliner Stadtbahn; Verkehrsgeschichtliche Blätter; Heft 7/1982
[2] Die Betriebsführung auf der Berliner Stadtbahn; Verkehrsgeschichtliche Blätter; Heft 7/1982
[3] Webseite: www.luise-berlin.de - Berlin im Jahr 1886
[4] 60 Jahre Sv-Signale; Manuel Jacob; Berliner Verkehrsblätter; Heft 1/1989
[5] Eisenbahn=Größenwahn in Berlin; Bernd Kuhlmann, Verlag GVE, 2005
Berlins S-Bahnhöfe; Jürgen Meyer-Kronthaler/Wolfgang Kramer, be.bra Verlag, 1998
Die Bauwerke der Berliner S-Bahn: Die Stadtbahn; H. Schmidt, E.-M. Eilhardt; Verlag Volker Spiess GmbH, 1984
Berlin Stadtbahn; Alfred Gottwaldt/Stefan Handke; Marion Hildebrand Verlag; 1998
letzte Änderung:
18. November 2010
Veröffentlichung:
26. Oktober 2008