Die Nordsüd-S-Bahn

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Pläne für die "Welthauptstadt"

Am vierten Jahrestag der Machtergreifung, dem 30. Januar 1937, verkündete Adolf Hitler seine gigantischen Pläne für die Umgestaltung Berlins. Bestandteil der Planungen war eine rigorose Veränderung der Eisenbahnlandschaft.

Die Nordsüd-S-Bahn war von den Planungen auf zweierlei Art tangiert:

Die Entwurfsänderungen von 1937 bedeuteten für den Bahnhof Potsdamer Platz zunächst den Stopp aller Arbeiten an den Tunneln für die Südring-Einbindung. Da eine die bisherige Ringeinführung ersetzende neue Strecke vom künftigen Südbahnhof über den Bahnhof Hornstraße nur unterirdisch angelegt werden konnte, durften die Ringbahntunnel keine Neigung erhalten. Sie wurden daher vor der Stirnwand des Fernbahn-Empfangsgebäudes vorläufig abgeschlossen. In der Planung wurde der bisherige Viaduktbahnhof Hafenplatz an der Südringeinführung mit Zugang vom Großadmiral-von-Koester-Ufer (Schöneberger Ufer) durch den unterirdischen Bahnhof Lützowstraße ersetzt, und zwar an der gleichen Stelle, jedoch an der neuen, den Südring ersetzenden Strecke zum Südbahnhof.

Bild: vorbereitete Ausfahrt Richtung Gleisdreieck

Das vorbereitete Gleisplanum für eine Streckenerweiterung zum Gleisdreieck. Im Hintergrund der S-Bahnhof Potsdamer Platz.
Im vorderen Bildteil ist die vorbereitete Brücke über das Streckengleis Potsdamer Platz - Anhalter Bahnhof erkennbar (Januar 2003).

Bild: Einfahrtgleis vom Görlitzer Bahnhof

Die vorbereitete Einfahrt für eine noch zu bauende S-Bahnstrecke vom Görlitzer Bahnhof kommend zum S-Bahnhof Anhalter Bahnhof. Selbst wenn man wollte, derzeitig könnte keine S-Bahn vom ehemaligen Görlitzer Bahnhof nach Anhalter Bahnhof einfahren:
die BVG baute 1986 in den Tunnel diesen Fahrtreppenschacht ein, dieser war ursprünglich nicht vorgesehen. Er schränkt somit das Regelichtprofil der S-Bahn stark ein. Diese Fahrtreppe gehört zu einem Ausgang in Richtung Bernburger Straße (März 2004).

Die Kehranlage im Obergeschoß der heutigen Ebertstraße (nördlich des S-Bahnhofs Potsdamer Platz) wurde Teil einer geplanten zweiten Nordsüd-S-Bahn Südbahnhof—Hornstraße—Potsdamer Platz—Stadtkreuz—Nordbahnhof; der einstmals vorgesehene Endpunkt Lehrter Bahnhof an der Stadtbahn tauchte in diesen Überlegungen als "Bahnhof Stadtkreuz" auf. Heute ist dieser Streckenabschnitt Bestandteil der Planungen für die S 21.

Sprengung und Wiederaufbau 1945-49

In der Schlußphase des Zweiten Weltkrieges sprengten sehr wahrscheinlich deutsche Truppen am 2. Mai 1945 um 7.55 Uhr den Nordsüd-S-Bahntunnel unter dem Landwehrkanal. Zunächst lief er nur langsam voll; erst einige Tage später stand der Tunnel komplett unter Wasser. An eine rasche Wiederinbetriebnahme war nicht zu denken. Bis 1949 dauerten die Bau- und Reparaturarbeiten an.

Nicht nur die Nordsüd-S-Bahn war überflutet: Über den Verbindungsgang am S-Bahnhof Friedrichstraße war das Wasser in das U-Bahnsystem geflossen. Bereits im Mai 1945 beauftragte die Reichsbahn erfahrene Firmen mit ersten Arbeiten für den Wiederaufbau. Infolge der Unterbrechung des Betriebes im Tunnel endeten die Nordstrecken im Stettiner Fernbahnhof und die Südstrecken in Yorckstraße und Großgörschenstraße bzw. im reaktivierten Potsdamer Ringbahnhof.
Die wichtigsten Arbeiten im Bereich des Landwehrkanals umfaßten:

Die Zahl der während der Wiederherstellungsarbeiten gefundenen Toten betrug insgesamt 93.

Bild: alte Sprengstelle

Unter dem Landwehrkanal: hier befand sich die Sprengstelle aus den letzten Kriegstagen (Juni 2005).

Zu Beginn der Instandsetzungsarbeiten war überlegt worden, den zunächst als unbeschädigt angesehenen Abschnitt von der Friedrichstraße nach dem nördlichen Tunnelmund separat zu behandeln und unabhängig vom Verlauf der Arbeiten am Landwehrkanal schon vorab in Betrieb zu nehmen. Dazu begann man im Sommer 1945 mit dem Abpumpen des Wassers. Es zeigte sich aber bald, daß Wasser nachlief. Demzufolge mußte sich unter der Spree eine weitere Schadstelle befinden. Was war geschehen?

Die über die Spree und die Nordsüd-S-Bahn führende Ebertsbrücke war gegen Kriegsende gesprengt worden. Teile der Brückenkonstruktion hatten sich dabei in den Spreegrund gebohrt. Sowjetische Pioniere, welche die Trümmer wegräumen wollten, haben dann beim Sprengen der Stahlteile die Tunneldecke beschädigt. Ähnlich wie beim Bau in den 30er Jahren wurde die Spree durch Spundwände in zwei Hälften geteilt, die wechselweise trockengelegt wurden, um die Reparaturen ausführen zu können. Nach Beseitigung der Schäden befuhr am 6. November 1947 erstmals ein Probezug die gesamte Tunnelstrecke.

Der Tunnel im geteilten Berlin 1949-89

Bald nach dem Kriegsende geriet die S-Bahn als grenzüberschreitendes Verkehrsmittel in den Sog der Politik. Der Mauerbau am 13. August 1961 machte die meisten Stationen der Nordsüd-S-Bahn zu Geisterbahnhöfen, durch die die Züge ohne Halt durchfuhren.

Die von der sowjetischen Besatzungsmacht kontrollierte Deutsche Reichsbahn als Betreiberin der S-Bahn wurde in den Westsektoren mit Einsetzen des Kalten Krieges um 1947 zunehmend mißtrauisch beobachtet; aus Kooperation wurde Konfrontation. 1950 schloß man einen der vier Zugänge des Bahnhofs Unter den Linden, denn die davor gebaute neue Botschaft der UdSSR wollte keinen S-Bahneingang tolerieren.
1952 beendete die Reichsbahn den Fernverkehr im Anhalter und im Stettiner Bahnhof (am 1. Dezember 1950 in Nordbahnhof umgetauft). Damit entfiel ein Teil der Verkehrsaufgabe der Nordsüd-S-Bahn: die Verbindung der Fernbahnhöfe im Norden und Süden des Stadtzentrums.
Der Aufstand in der DDR am 17. Juni 1953 führte zu einer Unterbrechung des durchgehenden S-Bahnverkehrs zwischen Ost- und Westberlin. Die Stationen der Nordsüd-S-Bahn unter Ost-Berlin blieben bis zum 9. Juli 1953 geschlossen. Der Mauerbau im August 1961 teilte das Berliner S-Bahnnetz in zwei Teile. Die Nordsüd-S-Bahn, die überwiegend Ostberliner Gebiet im Stadtbezirk Mitte unterquert, wurde zur "Transitstrecke".

Bild: Anhalter Bahnhof Askanischer Platz

Anhalter Bahnhof - Ausgang Askanischer Platz:
Mitarbeiter der Reichsbahn erholen sich in der Sonne (um 1950).

Der im amerikanischen Sektor gelegene Anhalter S-Bahnhof blieb in Betrieb, die übrigen Bahnhöfe wurden aber geschlossen. Der Nordsüd-S-Bahnsteig des Bahnhofs Friedrichstraße war nur Reisenden aus Westberlin zugänglich. Das Umsteigen zur Stadtbahn und zur ebenfalls dem Westen zugeschlagenen U-Bahnlinie C (heute U6) war diesem Personenkreis dort weiterhin möglich. Der Verkehr auf der Nordsüd-S-Bahn verlief anschließend fast unverändert. Die Linien durch den Tunnel waren jedoch an ihren Enden auf den Westteil verkürzt. Die Endpunkte lauteten also nicht mehr Oranienburg, Velten und Bernau oder Teltow und Rangsdorf, sondern Frohnau oder Heiligensee und Lichterfelde Süd oder Lichtenrade.

Bild: Anhalter Bahnhof leerer Gleistrog

Bis in die 1980er Jahre hinein besaß das Gleis 1 weder Schotter noch ein Gleis (um 1950).

Die Bahnhofszugänge wurden hermetisch verschlossen. Benutzer der Nordsüd-S-Bahn - wie auch der heutigen U-Bahnlinien U6 und U8 - blickten mit Erschauern auf die Bahnsteige der im Dunkeln vorbeiziehenden "Geisterbahnhöfe". Häufig konnten sie dort den Doppelposten der Transportpolizei erkennen: zwei Mann, mit automatischen Waffen ausgerüstet, wartend auf nichts. Am jeweils letzten Bahnhof blickten Augen von Grenzsoldaten aus Sehschlitzen auf die vorbeifahrenden Züge - Bewacher wie Eingemauerte zugleich.
Zum sogenannten Westnetz gehörte bis 1984 auch das S-Bahnbetriebswerk Nordbahnhof. Über die streng bewachten Verbindungsgleise und die Rampe nördlich des Nordbahnhofes wickelte die Reichsbahn die Ein- und Aussetzfahrten der Züge ab. Das Personal bestand aus DDR-Bürgern.

Der Tunnel nach dem Mauerfall 1989

Mit dem Fall der Mauer war sowohl die Möglichkeit wie auch die Verpflichtung entstanden, die Sünden der jahrelangen Vernachlässigung der Tunnelstrecke in kurzer Zeit zu tilgen.

Nach Beseitigung der Grenzanlagen wurden kurzfristig vier Bahnhöfe wiedereröffnet:

Bild: Anhalter Bahnhof im Jahre 1978

Sauber, aber trostlos und fast steril zeigt sich der S-Bahnhof Anhalter Bahnhof im Jahre 1978.

Der Erhaltungszustand des S-Bahnhofs Potsdamer Platz ließ eine baldige Wiedereröffnung nicht zu, zudem hielt man das Verkehrsbedürfnis an der Station mitten in der Grenz-Einöde für unbedeutend. So hielten dort erst ab 1. März  992 die Züge.

1991/92 wurde der Tunnel im Rahmen einer Vollsperrung umfassend baulich und technisch saniert. Damit kam es nach dem Wassereinbruch von 1945 zur ersten durchgängigen Erneuerung des Oberbaues, der dazumal tatsächlich nur an den Schadstellen gereinigt worden war. Später wurden die unterirdischen und oberirdischen Teile der Bahnhöfe nach und nach - unter Beachtung denkmalpflegerischer Aspekte - erneuert. Sie zeigen heute eindrucksvoll die Architektur sprache der 30er Jahre. Als letzte Station gestaltete die Bahn im Jahr 2002 den S-Bahnhof Friedrichstraße neu.

S21 - die zweite Nordsüd-S-Bahn

In Berlin wird gelegentlich von einer S-Bahnstrecke geredet, die es noch nicht gibt, gemeint ist die S 21. Die Geschichte der S 21 – die ihrer Planung sowohl wie diejenige ihrer Realisierung - ist als beinahe unendlich zu beschreiben.

Noch während des Baues der Nordsüd-S-Bahn in den 30er Jahren war deren zentraler Bahnhof - Potsdamer Platz - deutlich aufgewertet worden. Nach mehreren Planungsphasen hat man sowohl am Nord- als auch am Südende jeweils Tunnelstutzen angefügt. Sie sollten einmal dazu dienen, den Bahnhof Potsdamer Platz zum Verknüpfungspunkt zweier unterirdischer Strecken zu machen. Es blieb bei der Planung: Der nördliche, längere Tunneltorso wird als Kehr anlage am Bahnhof Potsdamer Platz zwar sporadisch genutzt, einen der drei süd lichen, gleislos gebliebenen Stutzen aber hat man lediglich als Luftschutz-Bunker zweckentfremdet verwenden können.

Erstmals Anfang der 80er Jahre, im Zeichen einer ernsteren Beschäftigung mit der Zukunft der S-Bahn in Westberlin, ist der Gedanke aufgetaucht, solche Investruinen zu nutzen. Experten empfahlen, eine schon in den alten Reichsbahn-Planungen am Kreuzberger Hafenplatz erörterte Umsteigeverbindung zwischen S-Bahn und U-Bahn rund 50 Meter Luftlinie weiter am Gleisdreieck zu realisieren.
Eine Variante behielt sich vor, nur eine der beiden S-Bahnlinien S1 und S2 aus dem bisherigen Linienschema herauszunehmen, die andere wie bisher durch den Nordsüd-S-Bahntunnel verkehren zu lassen. So hätten sowohl die beiden Ziele Anhalter Bahnhof und Gleisdreieck - wo stets der höchste verkehrliche Nutzen gesehen wurde - angefahren, als auch die politisch gewollte Ost-West-Verknüpfung am "Transit"-Bahnhof Friedrichstraße aufrechterhalten werden können. Ausdrücklich gewahrt blieb die Option, die Neubau(stich)strecke vom Gleisdreieck weiter bis zum Bahnhof Potsdamer Platz zu verlängern und die 1939 angelegten Einführungsstutzen zu nutzen.

Bild: unter dem Heuboden

Zwischen den Stationen Potsdamer Platz und Unter den Linden befindet sich die vorbereitete Ausfädelung für eine zweite Nordsüd-S-Bahn. Der Streckenstummel wird derzeitig zum Abstellen von vier Vollzügen genutzt und von S-Bahnern umgangssprachlich als "Heuboden" bezeichnet.
Im Bild befinden wir uns unter dem Heuboden (Juni 2005).

Neuen Auftrieb erhielt die Diskussion nach dem Mauerfall. Eine erste euphorische Bestandsaufnahme der Verkehrsverwaltungen in Ost- und Westberlin sah 1990 ausdrücklich die Verwirklichung der Umsteigebeziehung S-Bahn/U-Bahn am Gleisdreieck vor, nun jedoch nicht mehr mit einer Stichbahn, sondern erfolgversprechender: als eine direkte Kopie der Vorkriegsplanungen als S 21 und als eine Verbindung zum neu geplanten Hauptbahnhof bis zum Nordring. Der Baubeginn wurde jedoch immer wieder verschoben, die S 21 ist deshalb bislang eine weitere unendliche Geschichte des Berliner Nahverkehrs …

Die Texte der vorliegenden Streckenbeschreibung sind stark gekürzte Passagen aus dem Buch des Autors Michael Braun:

Bild: Buchtitel

Nordsüd-S-Bahn Berlin - 75 Jahre Eisenbahn im Untergrund

Die Veröffentlichung des Textes erfolgt mit freundlicher Genehmigung von

Bild: Logo S-Bahn-Museum Bild: Logo Historische S-Bahn

Zur Nordsüd-S-Bahn gehören die folgenden Bahnhöfe

Humboldthain Nordbahnhof Oranienburger Straße Friedrichstraße (Nordsüd-S-Bahn)
Brandenburger Tor Potsdamer Platz Anhalter Bahnhof Yorckstraße (Grossgörschenstraße)

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Autor:
Dr. Michael Braun

Redaktionelle Betreuung:
Udo Dittfurth, Michael Müller, Mathias Hiller

Bearbeitung für die Webseite:
Mike Straschewski

letzte Änderung:
31. Januar 2009

Veröffentlichung:
26. Oktober 2008

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