Die Görlitzer Bahn


Der Anfang und die ersten Jahre

Als die Görlitzer Bahn gebaut und in Betrieb genommen wurde, hatte die Eisenbahn in Berlin fast schon ihre erste Blütezeit hinter sich. Der Eisenbahnkönig Bethel Henry Strousberg erhielt 1864 die Konzession zum Bau der Berlin-Görlitzer Eisenbahn. Obwohl die Finanzierung auf äußerst wackligen Beinen stand, drängte der damalige preußische Kriegsminister von Roon aufgrund des bevorstehenden Feldzuges gegen Österreich auf einen schnellen Aufbau der Eisenbahnlinie. Die Berlin-Görlitzer Eisenbahn nahm ihrem Betrieb, vorerst nur eingleisig, am 13. September 1866 bis nach Cottbus auf. Ihren Endpunkt Görlitz erreichte sie am 31. Dezember 1867.

Der Berliner Endbahnhof, der Görlitzer Bahnhof, lag zu diesem Zeitpunkt noch vor den Mauern der Stadt. In den folgenden Jahren fiel die Stadtmauer der Spitzhacke zum Opfer, es entstand rund um den Bahnhof ein neues Wohnviertel, das später als SO 36 in die Geschichte einging.
Schnell entwickelte sich der Bahnhof in seiner Bedeutung. Diese stieg, als am 17. Juli 1871 die Verbindungsstrecke zwischen dem Görlitzer Bahnhof und der gleichzeitig fertiggestellten Ringbahn in Richtung Rixdorf (heute Neukölln) in Betrieb genommen wurde.

Stadtplan 1893

Stadtplanausschnitt aus dem Jahre 1893.
Mit freundlicher Genehmigung von www.alt-berlin.info.

Zum 1. Mai 1882 wurde die Berlin-Görlitzer-Eisenbahn verstaatlicht. Im Oktober 1885 erhielt die Strecke ihren Anschluß an die Ringbahn in Richtung Stralau-Rummelsburg (heute Ostkreuz). Die Fernzüge wurden nun aufgrund der besseren Anbindung auf die Stadtbahn geführt, der Vorortverkehr verblieb beim Görlitzer Bahnhof und nahm stetig zu. Grund hierfür waren die Bevölkerungszuwächse in und um Berlin und die damit steigenden Fahrgastzahlen. Um mehr Züge zur Entlastung fahren zu können, wurde am 17. September 1890 das zweite Gleis zwischen Grünau und Königs Wusterhausen in Betrieb genommen. Knapp ein Jahr später ging die Zweigbahn Schöneweide—Spindlersfeld in Betrieb.

Mehr Bevölkerung generiert einen Mehrbedarf an Waren aller Art. Um diesen besser abdecken zu können, nahm 1889 der Rangierbahnhof Schöneweide seinen Betrieb auf. Schon 1890/91 mußte dieser erweitert werden, im Jahre 1905 erfolgte ein weiterer Umbau. Wenige Jahre zuvor, am 8. Juni 1896, kam die 5,3 Kilometer lange Güterzugstrecke Rixdorf (heute Neukölln)—Schöneweide hinzu.

Aufgrund des immer weiter stark ansteigenden Vorortverkehres wurde bis zum Frühjahr 1906 der Bahndamm bis Berlin-Adlershof höher gelegt und gleichzeitig ein neues Gleispaar für den "Localverkehr" in Betrieb genommen. Drei Jahre später erreichten die Vorortgleise Berlin-Grünau und es entstand gleichzeitig eine neue Zugbildungsanlage, auf deren Gelände sich heute das S-Bahnbetriebswerk Grünau befindet. In den 20er und 30er Jahren gelangte die Fernbahnstrecke wieder an ihre Kapazitätsgrenze aufgrund gestiegener Zugfahrten. So wurde die Forderung nach einem viergleisigen Ausbau zwischen Grünau und Königs Wusterhausen laut, die jedoch wegen des Ersten Weltkrieges und dessen Folgen nicht verwirklicht werden konnte.

Bild: Empfangsgebäude Königs Wusterhausen

Das Empfangsgebäude von Königs Wusterhausen (16. September 2006).

Der Vorortverkehr wird auf elektrischen Betrieb umgestellt

Ein neues Kapitel in der Geschichte der Görlitzer Bahn begann am 6. November 1928: Im Rahmen der Großen Elektrisierung erreichte nun die neuen Züge der Bauart Stadtbahn die Görlitzer Bahn, wenn auch nur vorerst bis zum Bahnhof Grünau. Der Nahverkehr erlebte eine neue Blütezeit, die auch mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahre 1933 nicht endete.

Ganz im Gegenteil: im Rahmen der Umgestaltung Berlins zur Welthauptstadt Germania wird ein weiterer Ausbau der Bahnanlagen sowie eine Weiterführung der S-Bahn nach Königs Wusterhausen geplant. Ende 1930er Jahre fanden dazu umfangreiche Bauarbeiten zur Trennung der Fern- und Vorortbahngleise statt. Über den Umfang der gemachten Arbeiten gibt es unterschiedliche Aussagen: mal heißt es, es wurden nur Erdarbeiten ausgeführt, mal geben Zeitzeugen an, daß das dritte (und vielleicht auch das vierte) Gleis schon gelegen haben [1].

8. Mai 1945: Deutschland kapituliert, der Zweite Weltkrieg ist zu Ende. Berlin liegt in Schutt und Asche, der öffentliche Verkehr kommt zum Erliegen. Die sowjetische Besatzungsmacht beginnt bald darauf mit der Abfuhr der Reparationsleistungen. Darunter fällt auch die Demontage des östlichen Streckengleises Königs Wusterhausen—Grünau—Görlitzer Bahnhof (außer Schöneweide—Baumschulenweg). Jedoch schon ab dem 8. Juni 1945 wird der Zugverkehr wieder aufgenommen, die Züge fahren jedoch vorerst nur sporadisch.
Nach und nach stabilisiert sich der Eisenbahnverkehr. Am 2. Juni 1947 wird in Eichwalde zur Kapazitätsverbesserung ein Kreuzungsgleis neu in Betrieb genommen, 1949 wird das zweite Gleis der Fernbahn zwischen dem Ringbahnanschluß und Baumschulenweg neu aufgebaut, im August 1949 folgt das zweite Gleis Königs Wusterhausen—Grünau.

Die S-Bahn erreicht Königs Wusterhausen

Die noch junge DDR erhob in ihrem ersten Fünfjahrplan das ehemalige Schwartzkopff-Werk in Wildau zu einem Schwerpunktbetrieb und hatte somit einen triftigen Grund für eine Weiterführung der S-Bahn nach Königs Wusterhausen. Die ersten vorbereitenden Baumaßnahmen dazu begannen schon 1949. Das im August 49 neu aufgebaute Streckengleis Königs Wusterhausen—Grünau wurde aufgrund der Planungen umgewidmet: aus der zweigleisigen Strecke zwischen Grünau und Königs Wusterhausen wurden zwei eingleisige Strecken.

Am 30. April 1951 ist es soweit: die elektrische S-Bahn erreichte erstmals Königs Wusterhausen. Ein Jahr später, am 26. Mai 1952, ist auch die Görlitzer Bahn von den Auswirkungen des Kalten Krieges betroffen: die DDR beschließt die "Maßnahmen für die Verstärkung der Grenzsicherung" - Westberliner durften seitdem die Berliner Stadtgrenze nicht mehr ohne Sondergenehmigung passieren. Um dem Gesetz Folge zu leisten, richtete die DDR im Bahnhof Eichwalde einen Grenzkontrollpunkt ein: Ab sofort wurden alle stadteinwärts fahrenden Züge kontrolliert. Die S-Bahn erhielt dazu einen sechsminütigen Aufenthalt am Bahnsteig. Für die Züge der Fernbahn wurde parallel zur Heinrich-Heine-Allee ein hölzerner Kontrollbahnsteig errichtet, die Kontrollen dauerten hier in der Regel 20 Minuten [2]. Der ganze Spuk endete erst mit dem Bau der Mauer am 13. August 1961.

Bild: Bahnsteigansicht Wildau

Haltepunkt Wildau: das rechts neben dem Bahngelände liegende Areal gehörte einstmals zu den ehemaligen Schwartzkopff-Werken und war 1949 einer der Gründe für eine Verlängerung der S-Bahn nach Königs Wusterhausen. Im Bild gut erkennbar ist die zweite Bahnsteigkante, an der bis Mitte der 80er Jahre das Fernbahngleis Grünau - Königs Wusterhausen vorbeiführte (16. September 2006).

Wenige Monate zuvor, im Frühjahr 1961, begannen die Bauarbeiten für den zweigleisigen Ausbau der S-Bahnstrecke von Grünau bis Zeuthen. Nach dem Mauerbau im August gerieten diese Arbeiten ins Stocken: alle Baukapazitäten wurden an den neu entstehenden "antifaschistischen Schutzwall" umgesetzt. Erst Anfang der 1970er Jahre gingen die Bauarbeiten weiter: Grund waren vorbereitende Maßnahmen für die Elektrifizierung der Fernbahn. Am 17. Dezember 1979 wurde das zweite S-Bahngleis zwischen Grünau und Eichwalde in Betrieb genommen, ab 29. August 1980 ging es weiter bis nach Zeuthen.

In den nachfolgenden Jahren elektrifizierte die DR die Fernbahngleise nach und nach mit 15 kV 16 2/3 Hz : als erstes Teilstück ging am 30. September 1984 der Abschnitt zwischen dem Ringbahnanschluß und Schöneweide in Betrieb. Drei Jahre später, am 16. Oktober 1987, erreichte die Oberleitung von Grünau aus Königs Wusterhausen.


Zur Görlitzer Bahn gehören die folgenden S-Bahnhöfe:

Plänterwald Baumschulenweg Schöneweide Betriebsbahnhof Schöneweide
Adlershof Grünau Eichwalde Zeuthen
Wildau Königs Wusterhausen    

Weiterführende Artikel zum Thema Görlitzer Bahn (innerhalb Stadtschnellbahn-Berlin.de)

Der Görlitzer Bahnhof
Der Umbau der Görlitzer Bahn
Der Umbau der Signalanlagen im Bereich der Berliner S-Bahn auf der Görlitzer Bahn
Bilder von den Gleisanlagen zum Görlitzer Bahnhof im Bereich der Grenzanlagen
Luftbilder von den Gleisanlagen des Treptower Kreuzes und des Görlitzer Bahnhofes im Bereich der Grenzanlagen
Eine Zugfahrt durch das Grenzgebiet
Bilder von 2009
Hier finden Sie einen Gleisplan über den Kreuzungsbereich der Ringbahn/Görlitzer Bahn


Autor:
Mike Straschewski

Quellen:
[1] Sonderzug zur Mitternacht - 1. Juli 1989, 0:00 Uhr: neuer Bahnhof in Eichwalde; Reiner Brandthorst; Verkehrsgeschichtliche Blätter, Heft 3/1998, S. 72.
[2] ebenda, S. 74

weiterführende Quellen, Buchtipps und Links:
Bahnknoten Berlin; Bernd Kuhlmann; Verlag GVE; 2000
Eisenbahn-Größenwahn in Berlin; Bernd Kuhlmann; Verlag GVE; 2005
Züge durch Mauer und Stacheldraht; Bernd Kuhlmann; Verlag GVE; 1998
Berliner Bahnbetriebswerke; Michael Reimer/Dirk Winkler; GeraMond; 2001
Berlins S-Bahnhöfe; Jürgen Meyer-Kronthaler/Wolfgang Kramer, be.bra Verlag, 1998
Webseite: Bahnstrecken im Land Brandenburg
Webseite: Beefland: Eisenbahnen im Raum Berlin
Webseite: Chronik der Berlin-Görlitzer Eisenbahn
Webseite: Der Görlitzer Bahnhof in Berlin um 1935 (Webseite nicht mehr vorhanden)
http://www.b-g-e.de (Webseite nicht mehr vorhanden)

letzte Änderung:
30. August 2009

Veröffentlichung:
26. Oktober 2008

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