Die Ringbahn


Der Berliner S-Bahn-Ring ist seit Juni 2002 wieder geschlossen. Die Geschichte dieses Eisenbahn-Ringes reicht zurück bis ins 19. Jahrhundert, als die Züge noch mit Dampflokomotiven gezogen wurden. Bevor es die Ringbahn gab, nutzte man die alte Verbindungsbahn, um den Verkehr zwischen den Kopfbahnhöfen der Fernbahnlinien abzuwickeln. Die schrittweise neu errichtete Ringbahn übernahm die Verteilerfunktionen zwischen den Kopfbahnhöfen und wurde später die Verkehrsdrehscheibe für den Stadt- und Vorortverkehr. Der zweite Weltkrieg führte zu schweren Infrastrukturschäden bei der S-Bahn und dem dazugehörigen Ring. Die Nachkriegszeit im geteilten Berlin mit der Konfrontation beider deutscher Staaten hatte auch Auswirkungen auf den Ringbahnverkehr. Nach einer Teilung des Ringes folgte Jahre später die Stilllegung. Erst nach der politischen Wende wurde die Wiederherstellung des Berliner S-Bahn-Ringes realisiert.

Die Entwicklung der Ringbahn

Im Jahre 1838 wurde die erste Eisenbahnstrecke in Berlin eröffnet. Sie führte nach Potsdam. Schon bald folgten weitere von Berlin ausgehende Strecken. Zu nennen wären hier die Strecken der Anhalter Bahn (1841 eröffnet) und der Stettiner und der Schlesischen Bahn (beide 1842 eröffnet). Die Hamburger Bahn wurde schließlich 1846 eröffnet, die Strecken der Görlitzer Bahn (1867), der Lehrter Bahn (1867) und der Ostbahn (1871) folgten später.
Die Endbahnhöfe dieser Strecken waren im Berliner Stadtgebiet verteilt und somit war es für Reisende umständlich, auf eine andere Strecke umzusteigen. Güter mussten aufwendig umgeschlagen werden. Von daher gab es 1844 erste Fürsprecher für eine Verbindungsbahn, welche die bestehenden Radiallinien verbindet. Der Staat zeigte deutliches Interesse, wogegen die Bahngesellschaften Ablehnung signalisierten. Hohe Umschlagskosten, Arbeitslosigkeit der Berliner Bevölkerung und militärische Notwendigkeiten ließ die Anzahl der Befürworter für den Bau der Verbindungsbahn ansteigen, so dass nach kurzer Planung im Dezember 1850 mit dem Bau einer Verbindung zwischen dem Stettiner und dem Anhalter Bahnhof begonnen wurde. Die Trasse wurde auf Straßenniveau geführt, was zu vielen Kreuzungspunkten mit den zahlreichen Straßen führte.

Bild: Ringbahnursprung

Der Ursprung der Ringbahn - der S-Bahnkilometer 0,0/36,9.
Heute zwischen den S-Bahnhöfen Beusselstraße und Westhafen gelegen, befand sich hier ursprünglich der alte Bahnhof Moabit (28. Mai 2005).

1851 verlängerte man die Trasse zum Schlesischen Bahnhof (heute Ostbahnhof). Der Umsteigekomfort für die Reisenden verbesserte sich, der Güterverkehr konzentrierte sich und die Industrie nutzte verstärkt die Verbindungsbahn für den Transport ihrer Produkte. Nach etwa zehn Jahren traten negative Erscheinungen der Verbindungsbahn in den Vordergrund. Die Bebauung entlang der Strecke wurde stark erschüttert, an den Kreuzungen von Schiene und Straße gab es Unfälle und die Geschwindigkeit der Züge war für einen effektiven Betrieb zu gering. Diese Probleme bewegte die Stadt Berlin zu dem Entschluss, eine neue Verbindungsbahn (die spätere "Ringbahn") zu bauen, die außerhalb der Stadt ringförmig die Kopfbahnhöfe verbinden sollte. Die Gewährleistung des Umschlags von Gütern, die Einrichtung eines Personenvorortverkehrs und eine niveaufreie Trassenführung waren Bedingung für die Bewilligung der Baufinanzierung der neuen Verbindungsbahn. 1867 waren die Planungen abgeschlossen und die Finanzierung wurde genehmigt.

Nach vierjähriger Bauzeit konnte das erste zweigleisige Teilstück zwischen Moabit und Schöneberg im Sommer 1871 eröffnet werden. Zunächst nur vom Güterverkehr genutzt, folgte ein Jahr später der Personenverkehr auf der neuen Verbindungsbahn. Berliner Industriestandorte, wie die nördlich gelegenen Schwartzkopff-Werke oder der östlich gelegene Viehhof wurden ebenfalls angeschlossen. 1873 wurde ein Gesetz zur Vollendung der Verbindungsbahn beschlossen. Dieses Gesetz sah des Weiteren den viergleisigen Ausbau (jeweils zwei Gleise für Personenverkehr und Güterverkehr) und die Erschließung neuer Siedlungen vor.
Mit der Inbetriebnahme des westlichen Teilringes (Schöneberg bis Moabit) im Herbst 1877 erreichte die Gesamtlänge der neuen Strecke 36 Kilometer. Zu dieser Zeit fand man auch einen Namen für diese neue Verbindungsbahn - die "Ringbahn".
Folgende Stationen waren jetzt in Betrieb: Moabit, Wedding, Gesundbrunnen, Weißensee, Friedrichsberg, Stralau-Rummelsburg, Treptow, Rixdorf, Tempelhof, Grunewald und Westend. Der Ausbau auf vier Gleise dauerte insgesamt 16 Jahre und konnte 1896 mit dem Teilstück von Stralau-Rummelsburg und Halensee abgeschlossen werden.

Bild: Empfangsgebäude Beusselstraße

Das alte Empfangsgebäude des Bahnhofes Beusselstraße.
Repro aus: Berlin und seine Bauten - Band 7, 1896.

Zwischenzeitlich wurden aber noch sehr wichtige bauliche Merkmale zur Ringbahn hinzugefügt. Die wichtigste Neuerung war die Errichtung der Südring-Spitzkehre (1881) zum Potsdamer Bahnhof, wodurch eine direkte Verbindung in die Innenstadt vom Ring aus ermöglicht wurde. Die 1882 auf über 700 Viadukten errichtete Stadtbahn, die als Durchmesserlinie konzipiert war, wurde im gleichen Jahr an die Ringbahn am Bahnhof Stralau-Rummelsburg angeschlossen. Diese verkehrlichen Neuerungen führten zu völlig neuen Betriebskonzepten bei der Ringbahn. Es wurden Halbringzüge eingeführt, die entweder den Nordring oder den Südring mit der Stadtbahn verbanden. Das neue Betriebskonzept hatte Folgen für das damalige Verkehrsverhalten der Berliner. Wurde die Ringbahn bis 1882 eher für den Güter- und Militärverkehr genutzt, so begannen immer mehr Berliner die Vorortbahnen (sprich die Ringbahn) zu nutzen, um vom Umland nach Berlin und von Berlin ins Umland zu gelangen.

Ein zusätzlich positiver Effekt trat ein, als man 1891 ein preiswerteres Tarifsystem einführte, wodurch innerhalb eines Jahres das Fahrgastaufkommen um 30% auf 31 Millionen Fahrgäste wuchs. In den Folgejahren bis zur Jahrhundertwende baute man noch zweigleisige Teilabschnitte viergleisig aus und stellte weitere Verknüpfungen zu neuen Bahnstrecken (unter anderem der Ausbau des Bahnhofs Gesundbrunnen mit Anschluss zur Stettiner Bahn) her.
Im Zuge der Industrialisierung war man seitens der Berliner Bahn- und Stadtverwaltung bereit, die Ringbahn weiter auszubauen. Im Bereich zwischen Stralau-Rummelsburg und Treptow baute man von 1914 bis 1921 die dort viergleisige Ringbahn sechsgleisig aus. Um 1920 begann auch die Diskussion um eine Elektrifizierung der Ringbahn. Umweltaspekte und betriebliche Verbesserungen standen dabei im Vordergrund. Nach vorherigen Planungen und einer Testphase wurde der Ring schließlich von 1927 bis 1929 etappenweise elektrifiziert, so dass mit Fertigstellung der elektrische Betrieb mit neuen Triebwagen aufgenommen werden konnte. Bis 1930 entstanden weitere Umsteigebahnhöfe an den Stationen Tempelhof und Gesundbrunnen und ab 1933 war das Umsteigen auch in Schöneberg (zur Wannseebahn) und Innsbrucker Platz (zur U-Bahn) möglich.

Die Große Elektrisierung, die Kriegszeit und das (vorläufige) Ende der Ringbahn

Im Rahmen der Großen Elektrisierung versah man auch in mehreren Etappen die Ringbahn mit Stromschienen:

Bild: Ausfahrt Richtung Witzleben

Ein S-Bahnzug der Bauart Stadtbahn ist aus dem Bahnhof Westkreuz (Ringbahn) in Richtung Witzleben ausgefahren.
Bis 1938 standen auf diesem Abschnitt der Ringbahn noch Formsignale (undatiert).

Ab 1930 wurden die Stadtbahn, die Ringbahn und die Vorortbahnen zu dem System "S-Bahn" zusammengefasst. Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Jahre 1933 begannen großspurige Umbauplanungen des Ringes. Diese geplanten Vorhaben erreichten aber nie das Stadium der Bauausführung, so dass es bis Anfang der 1940er Jahre keine weiteren baulichen Veränderungen gab. Infolge der Kriegshandlungen des Zweiten Weltkrieges kam es im Sommer 1944 zu ersten Unterbrechungen des Ringbahnverkehrs durch Bombenschäden, weshalb der Betrieb zwischen Schöneberg und Potsdamer Ringbahnhof über die Spitzkehre eingestellt werden musste.
Bis zum Kriegsende im Mai 1945 kam es zu weiteren schweren Kriegsschäden. Besonders die Bahnhöfe Gesundbrunnen, Beusselstraße, Halensee, Treptower Park und Landsberger Allee waren stark geschädigt. Aber auch die Stromunterwerke in Wedding und Treptower Park, sowie viele Brücken und Gleisanlagen wurden in Mitleidenschaft gezogen. Ab Juni 1945 wurde, nach provisorischer Wiederherstellung von Gleisen und Bahnhöfen, der Ring teilweise eingleisig wieder in Betrieb genommen. Ab Winter 1946 war der Vollring mit Einschränkungen wieder in Betrieb.

Die Ringbahn übernahm unmittelbar nach dem Krieg die Funktion als Verbindungsbahn für die geteilte Stadt. Sie verband die vier Sektoren untereinander und galt als Nahtstelle zwischen West- und Ostberlin - bis zum 13. August 1961. Durch den Bau der Berliner Mauer wurde der Ring zwischen Schönhauser Allee und Gesundbrunnen sowie zwischen Treptower Park und Sonnenallee unterbrochen. In der Folgezeit musste der S-Bahnverkehr in beiden Stadthälften neu organisiert werden. Während in Westberlin trotz laufenden Betriebs (bis 1984 Betriebsführung durch die Deutsche Reichsbahn) die Anlagen langsam verfielen, wurde in Ostberlin das S-Bahnnetz weiter ausgebaut.
Der östliche Ring wurde als Nord-Süd-Hauptachse genutzt. In Westberlin gingen die Fahrgastzahlen durch den S-Bahnboykott rapide zurück.

Bild: S-Bahnhof Tempelhof

Knapp elf Jahre nach dem Zweiten Reichsbahnerstreik macht der Bahnhof zwar einen heruntergekommenen, aber keinen zerstörten Eindruck.
Das wird wahrscheinlich u.a. den hier immer vor Ort tätigen Eisenbahnern geschuldet sein (15. Januar 1991).

Im September 1980 kam es in Westberlin zum großen S-Bahn-Streik, dessen Folgen für den S-Bahnverkehr immens waren. Dieser wurde seitens der Reichsbahn so stark reduziert, dass nur noch der zur Wahrung des Betriebsrechtes (auf Westberliner Gebiet) erforderliche Verkehr durchgeführt wurde. Komplett eingestellt wurde dabei u.a. auch der gesamte Westberliner Ringbahnverkehr. Die Stationen der Ringbahn verfielen zusehends. Eine Hoffnung auf Besserung keimte mit der am 9. Januar 1984 durchgeführten Übertragung der Betriebsrechte an die BVG auf. Doch erst am 25. September 1989 wird auf dem S-Bahnhof Westend mediengerecht der "erste Spatenstich" zelebriert. Am 17. Dezember 1993 schließlich wird der erste Teilabschnitt der Ringbahn - der Südring - von Baumschulenweg über Neukölln, Schöneberg, Westkreuz nach Westend eröffnet.

Es folgten in weiteren Etappen:

Am 16. Juni 2002 rief die Berliner S-Bahn den "Wedding-Day" aus: Der an diesem Tag stattfindende Lückenschluß von Westhafen über Wedding nach Gesundbrunnen verband die 41 Jahre lang unterbrochene Ringbahn - endlich wieder Vollring!

Bild: Ringbahneröffnung

Großer Fotografen- und Presseandrang herrschte am Tag der Ringbahnwiedereröffnung am S-Bahnhof Westhafen (15. Juni 2002).

Epilog

Die Berliner Ringbahn hatte seit Beginn ihres Bestehens bis heute eine spezielle Verkehrsfunktion. Am Anfang außerhalb der Stadt verlaufend, war sie Voraussetzung für räumliches Wachstum. Heute verläuft der Ring direkt durch die Stadt, wobei das "Ringumfeld" großes Potential für die Berliner Stadtentwicklung besitzt. Als Bahn ohne Anfang und Ende hat sie kein festes Ziel, sondern nimmt eine Verteilerfunktion ein. Sie verbindet alle weiteren S-Bahn-Strecken Berlins. Mit den Umsteigemöglichkeiten zur U-Bahn, Bus und Straßenbahn wirkt die Ringbahn wie eine Verkehrsdrehscheibe und fördert dadurch den Kreislauf des Berliner Verkehrs. Die heutigen und zukünftigen Baumaßnahmen werden die wichtige Position der Ringbahn im Berliner Verkehr noch weiter stärken.


Zur Ringbahn gehören die folgenden Bahnhöfe

Ostkreuz Treptower Park Sonnenallee Neukölln
Hermannstraße Tempelhof Südkreuz (Ringbahn) Schöneberg (Ringbahn)
Innsbrucker Platz Bundesplatz Heidelberger Platz Hohenzollerndamm
Halensee Westkreuz (Ringbahn) Messe Nord/ICC Westend
Jungfernheide Beusselstraße Westhafen Wedding
Gesundbrunnen Schönhauser Allee Prenzlauer Allee Greifswalder Straße
Landsberger Allee Storkower Straße Frankfurter Allee  

Autor:
David Jung

Der vorliegende Text ist Teil der Diplomarbeit, die der Autor unter dem Titel:
"Wiederherstellung des Berliner S-Bahn-Ringes - Bau, Betrieb und Auswirkungen auf die Verkehrs- und Siedlungsstruktur"
im Sommersemester 2004 verfasst hat.

Bearbeitung für die Webseite:
Mike Straschewski
Die im Text verwendeten Bilder und Überschriften gehören nicht zur Diplomarbeit.

Weiterführende Buchtipps:
Berlins S-Bahnhöfe; Jürgen Meyer-Kronthaler/Wolfgang Kramer, be.bra Verlag, 1998
Strecke ohne Ende; Berliner S-Bahn Museum; Verlag GVE; 2002
Berlin und seine S-Bahn, Autorenkollektiv, transpress-Verlag, 1987
S-Bahn Berlin - Reiseführer - Geschichte(n) für unterwegs; Bernhard Strowitzki; Verlag GVE; 2002
Der elektrische Zugbetrieb bei der Berliner S-Bahn, Band 6: Das Netz wächst zusammen; Manuel Jacob; Verlag Bernd Neddermeyer; 2004

letzte Änderung:
15. Oktober 2008

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